Dutt übt Selbstkritik
Kickers-Trainer als Psychologe
STUTTGART (ump). Die Stuttgarter Kickers befinden sich in der Fußball-Regionalliga im freien Fall. Acht Spiele ohne Sieg hat es in den drei Jahren unter Robin Dutt noch nie gegeben. Dennoch sagt der Manager Joachim Cast: „Die Trainerfrage stellt sich nicht.“
Nach acht Spielen ohne Sieg ist es ganz normal, dass der Trainer in den Fokus rückt. Das ist bei den Stuttgarter Kickers nicht anders als in Hamburg. Wobei sich der Regionalligist durchaus an dem krisengeschüttelten Bundesligisten orientiert. „Es hilft nichts, jetzt in Panik zu verfallen“, sagt der Präsident Hans Kullen, der auf Kontinuität setzt und nach vielen Einzelgesprächen zur Erkenntnis gekommen ist: „Ich habe nicht das Gefühl, dass der Trainer die Mannschaft nicht mehr erreicht.“ Und überhaupt: vor Kurzem sei er dazu gedrängt worden, den Vertrag mit Dutt vorzeitig zu verlängern – zu verbesserten Konditionen, versteht sich. Dieses Thema ist momentan aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Der Manager Joachim Cast betont jedenfalls: „Die Trainerfrage stellt sich nicht.“
Dennoch: die Lage ist ernst, schließlich stehen die Kickers inzwischen näher an einem Abstiegs- als an einem Aufstiegsplatz. Und eine Trendwende zeichnet sich nicht ab. „Es ist eine Spirale, die nach unten geht, da kommt man nur in kleinen Schritten wieder heraus“, sagt Dutt, der in den vergangenen Wochen viel probiert hat: von Zuckerbrot bis Peitsche, Viererkette und Dreierkette, von freien Tagen bis zu Sonderschichten – alles ohne den gewünschten Effekt.
„Natürlich würde ich hinterher einiges anders machen“, sagt Dutt selbstkritisch. Die Umstellung auf eine Dreierkette zum Beispiel hat sich nicht bewährt, anders als im Vorjahr. „Damals haben wir mit dieser Taktik sieben Spiele nicht verloren“, erklärt der Trainer. Und auch Manuel Hartmann, der sich zuletzt in der ungewohnten Rolle als rechter Verteidiger wiederfand, verteidigt die Maßnahme: „Wir haben das im Training wirklich gut geübt.“ Dumm nur, dass es auf dem Platz völlig anders rüberkam.
Hinzu kommt, dass sich die Neuzugänge nicht mehr so präsentieren wie zu Saisonbeginn. Qualität statt Quantität lautete die Maßgabe des Vereins, der sich auf Grund der wirtschaftlichen Zwänge keinen 22-Mann-Kader mit gleichwertigen Regionalligaspielern leisten kann. Doch nachdem Laszlo Kanyuk lange ausgefallen war und seitdem nur sporadisch seine Fähigkeiten gezeigt hat, geht die Formkurve bei Sascha Benda und Christian Okpala seit Wochen rapide nach unten. Und: eine dominante Leitfigur ist trotz der teuren Neuzugänge nicht in Sicht.
„Im Moment ist alles eine Kopfsache“, sagt Dutt, der zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nichts davon hält, einen Mentaltrainer zu holen, zu dem die Spieler kein Vertrauen haben. „Ich bin jetzt als Psychologe gefordert“, sagt der Trainer, der trotz der Talfahrt ausgesprochen konzentriert und sachlich wirkt. Was durchaus mit dem Umfeld zusammenhängt. „Die Ruhe und Souveränität von Präsidium und Manager ist für mich Motivation und Verantwortung zugleich“, sagt Dutt, der mit Kullen und Cast mehr als nur eine Zweckgemeinschaft bildet. „Da wird auch konträr diskutiert“, sagt Cast.
Dutt: „Eine solche Durststrecke kommt jedes Jahr mal vor.“ Wobei der Kickers-Trainer zugeben muss: „Acht Spiele ohne Sieg gab es bei mir, glaube ich, noch nie.“ Die Serie schreit auch nicht nach Fortsetzung, denn jede Geduld geht einmal zu Ende.
Stuttgarter Zeitung
„Uns fehlt ein Typ wie Minkwitz“
Kickers-Präsident Kullen
Stuttgart – Den Trainer nimmt er in Schutz, die Mannschaft in die Pflicht. Präsident Hans Kullen gibt sich trotz der Talfahrt der Stuttgarter Kickers kämpferisch: „Wir haben schon größere Rückstände aufgeholt.“
Herr Kullen, wie erklären Sie sich den Absturz der Blauen in der Regionalliga?
So komisch es klingt: Ich habe gegen Kassel eine Kickers-Mannschaft gesehen, die den Schalter unbedingt umlegen wollte. Wir erwischten aber einen der Tage, an denen einfach nichts klappt. Die Hauptgründe für die Talfahrt liegen weiter zurück.
Legen Sie los.
Der eine liegt in der Selbstzufriedenheit nach den Anfangserfolgen. Und dann wurde mir schon im September viel zu viel gejammert. Dies war auch der Grund, warum der Trainer und ich mit den Spielern viele Gespräche geführt haben, die im Team ein Umdenken bewirkt haben. Das Motto heißt: Jetzt erst recht!
Sie haben zu viele Heulsusen im Team?
Heulsusen ist nicht der richtige Ausdruck, aber vielleich dachte der eine oder andere Spieler, es läuft von alleine. Einen Typ wie Stefan Minkwitz haben wir leider nur noch als Co-Trainer auf der Bank.
Ein Fehler in der Personalpolitik.
(Stöhnt.) Ich hoffe nach wie vor, dass die Neuzugänge die Lücke noch ausfüllen werden. Kanyuk war lange verletzt – und bei Okpala bin ich mir sicher: Er wird am Samstag in Hoffenheim explodieren.
Bleibt die Wende aus, wird es in der Winterpause zu Veränderungen kommen?
Wir werden die Augen offen halten.
Haben Sie die Hoffnung auf den Aufstieg schon begraben?
Ich bin kein Träumer. Aber in Anbetracht der Drei-Punkte-Regel kommt Aufgeben für mich nicht in Frage. Wir wollen das Unmögliche noch möglich machen. Wir haben schon viel größere Rückstände aufgeholt.
Was passiert mit Robin Dutt, wenn auch die nächsten drei Spiele verloren gehen?
Erstens werden wir die nächsten drei Spiele nicht verlieren. Und zweitens bin ich durchaus bereit, ähnlich wie der HSV, die Gesetzmäßigkeiten der Branche zu durchbrechen. Wir halten zusammen und wollen den Vertrag mit dem Trainer verlängern.
Fragen von Jürgen Frey
Stuttgarter Nachrichten
Kickers-Krise und ihre Gründe
Von fehlenden Führungsspielern bis zu Abwehrschwächen und zu viel Euphorie
Stuttgart – Nach dem 1:3 gegen Kassel warten die Stuttgarter Kickers nun schon seit acht Spielen auf einen Sieg in der Regionalliga. Das Rätselraten über den Absturz ist groß. Den einen und einzigen Grund gibt es nicht. Mehrere Faktoren spielen eine Rolle.
VON JÜRGEN FREY
Fehlende Führungsspieler
In den ersten sieben Spielen feierte die, im Gegensatz zu anderen Teams, eingespielte Kickers-Elf sechs Siege. In dieser Phase wirkte sich ein großes Manko nicht aus: Der Mannschaft fehlt ein abgezockter Routinier mit Ausstrahlung, der in kritischen Phasen seine Mitspieler mitreißt. Im Team tummeln sich zu viele brave Spielertypen.
Schwächen in der Abwehr
Die Notwendigkeit war bereits Ende vergangener Saison offensichtlich: Um der Hintermannschaft auf Dauer die nötige Stabilität zu geben, ist ein kopfballstarker Abwehrspieler nötig. Trainer Robin Dutt setzte andere Prioritäten: Nach der Verpflichtung von Sascha Benda gab es keinen finanziellen Spielraum mehr.
Keine Alternativen im Sturm
Zu Mirnes Mesic und Christian Okpala gibt es keine ernsthaften Alternativen. Darunter leidet der Konkurrenzdruck im Angriff. Ein echter Joker fehlt auf der Bank.
Mangelnde Organisation
Gegen Kassel ließ das Team über weite Strecken jegliche Organisation vermissen. Vor allem in der Defensive. Gegen den Ball wurde nicht effektiv verschoben, die Laufwege stimmten nicht. „Das hat viel mit Selbstvertrauen zu tun“, sagt Trainer Robin Dutt. Gut möglich, dass es auch eine Folge der Umstellung auf das 3-5-2-System war, das zuvor im Spiel bei 1860 München II erstmals in dieser Saison von Beginn an praktiziert wurde. Am morgigen Samstag (14.30 Uhr) im Spiel bei der TSG Hoffenheim spricht alles für eine Rückkehr zum 4-4-2.
Zu viel Euphorie zu Beginn
Für die Führungsetage gab es nach dem Traumstart schnell nur noch ein Thema: die zweite Liga. Die Spieler bekamen sogar den Auftrag, intern über eine Aufstiegsprämie zu verhandeln. Auch die flotten Sprüche ihres Trainers wie beispielsweise vor der Auslosung der zweiten DFB-Pokalrunde („Ich will dem VfB nicht zumuten, schon in der zweiten Runde rauszufliegen“) scheint die Mannschaft nicht verkraftet zu haben.
Fehleinschätzung des Trainers
„Es gibt keine zwei Teams, die über uns thronen“, hatte Dutt vor der Saison behauptet. Die Korrektur folgte nach dem 0:3 gegen Wehen. „Wenn Hoffenheim und Wehen ihr Potenzial abrufen, reicht es für uns nicht.“
Es sieht nicht gut aus für die Blauen. Damit es wieder nach oben geht, muss schnell ein Erfolgserlebnis her. „Uns hilft nur ein Sieg weiter, sonst gar nichts“, sagt Dutt, der die Lage mit der Mannschaft gestern ruhig und sachlich analysierte. „Das Team ist am Boden. Wer Lust hat, draufzuhauen, kann das tun, ich stelle mich vor die Mannschaft“, erklärte er. Nicht die schlechteste Idee vor der Hürde bei Krösus Hoffenheim.
Stuttgarter Nachrichten
„Das sind die Jungs, die wir haben“
Warum die Verantwortlichen der Stuttgarter Kickers die Spieler mit Samthandschuhen anfassen
Stuttgart – Mit jedem Negativerlebnis wird es schwerer. Seit acht Ligaspielen sind die Regionalliga-Fußballer der Stuttgarter Kickers ohne Sieg, entsprechend sinkt das Selbstvertrauen. Der Auftritt beim 1:3 gegen Aufsteiger Hessen Kassel war der (vorläufige?) Tiefpunkt, auch wenn der Wille erkennbar war. „Die Einsatzbereitschaft ist der kleinste Funke Hoffnung, an dem ich ansetzen kann“, sagte Trainer Robin Dutt.
Von Sigor Paesler
Vom ersten bis zum elften Spieltag standen die „Blauen“ immer auf einem Aufstiegsplatz, neun Mal davon als Tabellenführer. Jetzt, nach 15 Begegnungen, ist die Mannschaft nur noch Sechster, der Rückstand zum Spitzenduo SV Wehen und TSG Hoffenheim beträgt bereits satte zehn Zähler. Nach dem fulminanten Saisonstart und dem folgenden Einbruch lässt sich feststellen: So gut, wie es am Anfang aussah, ist die Mannschaft nicht. Die momentanen Auftritt spiegeln ihr Leistungsvermögen aber auch nicht wider.
In Normalform wäre ein gutes Ergebnis gegen Kassel drin gewesen. Genauso war im Spiel zuvor gegen Spitzenreiter Wehen zu erkennen, wo die Unterschiede zwischen einem vermeintlichen und einem wirklichen Spitzenteam liegen. Morgen (14.30 Uhr) beim Zweiten Hoffenheim wäre ein Sieg der Stuttgarter eine große Überraschung.
Nachdem Dutt und Präsident Hans Kullen nach dem 1:1 bei 1860 München II lauter geworden waren, entschieden sie sich nun dafür, die Spieler mit Samthandschuhen anzufassen. Lob hatten die zwar nicht wirklich verdient. Aber es hat sich wohl die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Mannschaft mit dem Druck nicht umgehen kann. Die Einsatzbereitschaft gegen Kassel mündete in eine lähmende Verkrampfung. Warum sonst gab es so viele Fehlpässe, warum so viele Abwehrfehler? Warum kam kaum ein Pass des technisch versierten Laszlo Kanyuk an? Warum erspielte sich Christian Okpala, Torschützenkönig der vergangenen Saison, abgesehen von seinem verschossenen Elfmeter, keine Torchance.
Rückendeckung für die Spieler
„Das sind die Jungs, die wir haben, die am Anfang der Saison hervorragend gespielt haben und jetzt in einem Tief stecken“, erklärte Dutt und sagte den Spielern „absolute Rückendeckung“ zu. Die hat übrigens auch der Trainer, ein in der Branche nicht selbstverständlicher Umstand. „Darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren“, sagte Manager Joachim Cast. Wie das Team aus dem Tief herauskommt, ist umso mehr Inhalt der Diskussionen. „Die Verunsicherung ist allgegenwärtig“, hat Cast festgestellt. Ein Erfolgserlebnis würde natürlich helfen. Aber das zu erreichen, wird mit jedem Negativerlebnis schwerer.
Eßlinger Zeitung