Die Stadionfrage erhitzt die Gemüter der Stuttgarter Fußballfans zwischen Degerloch und Bad Cannstatt
Der VfB Stuttgart II und die Stuttgarter Kickers treffen am Samstag (14 Uhr) im Stadtderby ausnahmsweise im Daimlerstadion aufeinander. In der nächsten Saison sollen sich die beiden Teams das Gazistadion in Degerloch teilen. Ob das gutgeht?
Von Joachim Klumpp
„Lieber in Liga vier als die Lampen hier!“
Es ist noch gar nicht lange her, dass dieses Spruchband am Zaun der Gegengeraden des Gazistadions hing – bei einem Heimspiel der Stuttgarter Kickers. Womit die Fans ihren Unmut zum Ausdruck bringen wollten, dass der ungeliebte Lokalrivale aus Cannstatt – im Volksmund die Roten oder eben Lampen genannt – nächste Saison ihre Heimspiele ebenfalls in Degerloch austragen sollen. Auf den Golanhöhen also, wie das Gebiet unter dem Fernsehturm intern gerne genannt wird. Das Stadion auf der Waldau ist zwar die Heimstätte der Kickers, befindet sich aber natürlich im städtischen Besitz.
Das weiß auch der Kickers-Präsident Dirk Eichelbaum, der sich angesichts der aufgeregten Stimmung im eigenen Lager zuletzt mit den Fans an einen Tisch gesetzt hat, um die Dissonanzen auszuräumen. „Im Grunde kann uns doch gar nichts Besseres passieren, als dass der VfB auch hier oben spielt“, sagt der Präsident, und denkt an die wohl einmalige Chance, im Doppelpack die Infrastruktur des Stadions mit einem Schlag zu verbessern. Entsprechende Pläne liegen (wie berichtet) schon in der Schublade, wobei es im Grunde zwei Alternativen gibt: Erweiterung der bestehenden und 1370 Plätze fassenden Haupttribüne oder Abriss und kompletter Neubau.
Die Entscheidung dürfte letztlich auch eine Kostenfrage sein, wobei unter den Kickers-Fans in Anbetracht der Investitionssumme (im Raum stehen zehn bis 15 Millionen Euro) bereits der Wunsch nach Überdachung einer Kurve kursiert. Doch das ist noch etwas Zukunftsmusik, der Gemeinderat wird sich Anfang nächsten Monats erstmals intensiver mit den Modellen beschäftigen. Grundsätzlich aber besteht wohl Übereinstimmung darin, dass die Stadt ihren sportlichen Drittligisten eine adäquate Spielstätte zur Verfügung stellt. Vorausgesetzt, die Kickers qualifizieren sich überhaupt für die neue Spielklasse, was Stand heute nicht der Fall wäre.
Und wäre so etwas wie der GAU – für alle Beteiligten. Denn wie groß die Bereitschaft wäre für eine Modernisierung lediglich für den VfB (sowie für die Footballer der Scorpions), steht auf einem anderen Blatt. Dieses Szenario mag sich auch der für Organisation zuständige VfB-Direktor Thomas Weyhing nicht ausmalen, sondern drückt – mit Ausnahme vom nächsten Samstag natürlich – auch dem Lokalrivalen die Daumen. Denn eine Alternative für das zweite Team des Bundesligisten gibt es anscheinend nicht. Das Schlienzstadion erfüllt jedenfalls nicht die strengen Auflagen des Deutschen Fußball-Bundes DFB (siehe Winkel) – über deren Sinn und Unsinn sich durchaus streiten lässt.
Und ein Ausbau kommt, einmal abgesehen von den Kosten, aufgrund der beengten Platzverhältnisse auf dem Wasen offenbar nicht infrage. „Wir haben alle Möglichkeiten geprüft“, betont Thomas Weyhing. Auch in der Region: von Esslingen bis nach Sindelfingen. Das Ergebnis war laut Weyhing ernüchternd: „Das nächste Stadion, das den Anforderungen entspricht, wäre in Reutlingen.“ Also knapp 50 Kilometer entfernt, die einfache Strecke wohlgemerkt.
Dann schon lieber nach Degerloch ins Feindesland? „Natürlich wäre es schöner, wenn wir irgendwo in unserer Umgebung spielen könnten“, sagt zwar auch der VfB-Trainer Rainer Adrion, aber nach dem einmaligen Gastspiel am vergangenen Samstag gegen den Karlsruher SC II (2:1) musste er zugeben: „Die Stimmung war super. Unsere Spieler sind das ja gar nicht so gewohnt.“ Der VfB-Abwehrspieler Tobias Feisthammel wiederum könnte sich daran gewöhnen: „Wenn die Atmosphäre immer so ist, wäre das natürlich eine tolle Sache. Und letztlich ist es mir relativ egal, wo ich spiele.“
Die Fans sehen das ein bisschen kontroverser, fast als eine Art Glaubenskrieg. So planen etliche Kickers-Anhänger sogar einen Boykott des Derbys am Wochenende. „Talfahrt stoppen“, heißt die doppeldeutige Aktion. Mit der einerseits die Fahrt ins Tal (also nach Bad Cannstatt) angesprochen wird, andererseits die sportliche Entwicklung der vergangenen Wochen, die in der Regionalliga hinunter bis auf Platz 13 geführt hat. Das durch den Eintritt ins Daimlerstadion gesparte Geld solle dem nicht auf Rosen gebetteten Verein gespendet werden.
Ob das hilft? Vielleicht wäre es in der Tat sinnvoller, die eigene Mannschaft am Samstag verbal zu unterstützen, damit sie die dringend benötigten Punkte für die Qualifikation zur dritten Liga holt. Sonst heißt es im Gazistadion nächste Saison möglicherweise: „Liga vier – und die Lampen trotzdem hier.“
Stuttgarter Zeitung