Bewährungsstrafe für Becherwerfer
Kickers fordern 50000 Euro Schadenersatz – Zeugin: „Der hat geworfen und getroffen“
Der Becherwerfer, der am 25. Oktober 2006 einen Linienrichter mit einem Bierbecher niedergestreckt hatte, hat seinen Einspruch zurückgezogen und den Strafbefehl über acht Monate Haft auf Bewährung akzeptiert. Mehrere Zeugen hatten ihn klar erkannt.
Von Susanne Janssen
Auch das Spiel vor dem Stuttgarter Amtsgericht, mit einem heftigen Schlagabtausch zwischen Verteidiger Franz Friedel und Staatsanwalt Michael Greven, ist gestern vorzeitig beendet worden: Um 14 Uhr, als die beiden letzten Zeugen vor der Tür warteten, nahm der 39-jährige Kai B. seinen Einspruch gegen den verhängten Strafbefehl zurück. Staatsanwalt und Richter stimmten zu. Kai B. bringt der Becherwurf vom 25. Oktober 2006 acht Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung und hundert Stunden gemeinnützige Arbeit ein. Das dicke Ende kommt aber noch: Die Stuttgarter Kickers wollen von dem Mann Schadenersatz in Höhe von „zumindest 50 000 Euro“ fordern, wie der Verein gestern Abend erklärte. Damit sollen die durch den Vorfall entstandenen Kosten – 10 000 Euro Strafe, 35 000 Euro für ein Fangnetz sowie Einnahmeausfälle durch ein Spiel im Degerlocher Gazi-Stadion ohne Zuschauer – kompensiert werden. „Wir wollen damit auch ein Signal gegen Randalierer und Störenfriede setzen“, so Kickers-Präsident Dirk Eichelbaum.
Bei Kai B. wird aber nicht viel zu holen sein: Der 39-jährige Maler ist zurzeit auf Arbeitssuche und lebt von Hartz IV. 20 Mal ist der gebürtige Cannstatter, der eigentlich Fan des VfB Stuttgart ist, bereits der Polizei aufgefallen, darunter auch als Fußball-Hooligan. Am 25. Oktober 2006 machte der Mann durch eine besonders unrühmliche Tat auf sich aufmerksam. Die Kickers lagen im DFB-Pokalspiel gegen Hertha BSC Berlin 0:2 zurück, als auf den Rängen im Fanblock B Tumulte ausbrachen. In der 81. Minute flog ein Bierbecher über den Zaun, traf den Schiedsrichterassistenten Kai Voss am Rücken und streckte diesen nieder. Mehrmals schauten sich gestern die Verfahrensbeteiligten einen Ausschnitt aus einem Fernsehbericht an, in dem der hochgewachsene 33-Jährige mit Zeitverzögerung zu Boden ging.
Der Linienrichter reiste gestern eigens aus Schleswig-Holstein an und schilderte den Vorfall: „Es gab einen Schlag an der Wirbelsäule, und dann fehlen mir 30 bis 60 Sekunden Erinnerung.“ Danach stand er wieder auf den Beinen, er war nur einen Tag krankgeschrieben. Der damals erfolgte Spielabbruch sei aber zwingend gewesen: „Wenn ein Schiedsrichter oder einer seiner Assistenten tätlich angegriffen wird, ist das Spiel abzubrechen“, zitierte Voss die Fußballregeln.
Der Angeklagte Kai B. hatte nicht bestritten, aus Frust einen halbvollen Becher geworfen zu haben. Er habe zuvor rund fünf Liter Bier getrunken, um seine Schmerzen herunterzuspülen, erklärte er dem Amtsrichter Stefan Biehl. Denn wenige Tage zuvor habe er sich bei einem Unfall mit seinem Mountainbike einen dreifachen Kieferbruch zugezogen gehabt. Frage nur: war es wirklich Kai B.“s Becher, der den Linienrichter getroffen hatte? Um diese Frage kreiste das Verfahren bereits seit November 2006. Ein DNA-Gutachten an zwei Bechern, die neben dem Schiedsrichterassistenten gefunden wurden, ergab keine Übereinstimmung. Eine groß angelegte Bierbecherwurfübung der Polizei brachte nur die Erkenntnis, dass es möglich war, vom Stehplatz des Angeklagten zu treffen. Zum Verhängnis wurden dem Angeklagten nun allerdings drei Zeugen, die behaupteten, sie hätten Kai B. beim Werfen des Bechers beobachtet. Eine 58-jährige Frau erklärte, sie habe definitiv gesehen, wie der Angeklagte den Becher geworfen und den Linienrichter getroffen habe. Danach sollen die Bekannten, mit denen Kai B. im Stadion gewesen war, gelacht, diesem auf die Schulter geklopft und „Volltreffer!“ gerufen haben.
Als Höhepunkt im Schlagabtausch zwischen Verteidiger und Staatsanwalt beantragte Anwalt Friedel die Vereidigung der Zeugin. „Lächerlich“ fand dies Staatsanwalt Michael Greven. Die 58-Jährige schwor indes bei Gott, die Wahrheit zu sagen. Danach zog Kai B. seinen Einspruch gegen den zuvor verhängten Strafbefehl zurück – und Richter Biehl konnte die Partie abpfeifen. Das Nachspiel folgt dann vor einem Zivilgericht.
Stuttgarter Zeitung
Endlich
VON GEORGE STAVRAKIS
Nach fast eineinhalb Jahren hat es die Stuttgarter Justiz geschafft, den Becherwerfer aus dem Kickers-Stadion seiner Strafe zuzuführen. Endlich. Acht Monate, wenn auch auf Bewährung, sind kein Pappenstiel. Der Mann wird an den Folgen seines idiotischen Tuns eine ganze Weile zu knabbern haben. Doch das Verfahren hat viel zu lang gedauert. Solche Aktionen müssen schnell und hart bestraft werden. Denn sie sind geeignet, den Sport, der so viele Menschen begeistert, zu zerstören.
Fußball lebt von Emotionen – auf dem Feld und auf den Rängen. Gewalt jedoch, egal in welcher Form, muss in den Stadien und in ihrem Umfeld konsequent bekämpft werden. „Ich kam mir vor wie auf einem Schlachtfeld“, hat eine Zuschauerin nach dem Bundesliga-Derby des VfB Stuttgart gegen den Karlsruher SC am vergangenen Samstag gesagt. Gegen das, was sich im Daimlerstadion abgespielt hat, scheint der Degerlocher Becherwurf eine Petitesse zu sein. Ist er aber nicht. Mit einem Plastikbecher fängt es an. Dann fliegen weit gefährlichere Geschosse. Wir erinnern uns mit Schrecken an den von einem Golfball am Kopf getroffenen, blutüberströmten Oliver Kahn.
Die Vereine und die Sicherheitskräfte müssen Flagge zeigen. Aber auch die Justiz muss unbedingt schnell(er) handeln. Dass sie das kann, hat sie bei der WM bewiesen.
Stuttgarter Nachrichten
Becherwerfer aus Kickers-Stadion verurteilt
Acht Monate auf Bewährung wegen Körperverletzung – Linienrichter mit Bierbecher niedergestreckt
Der Mann, der im Oktober 2006 das DFB-Pokalspiel der Stuttgarter Kickers gegen Hertha BSC mit einem Becherwurf zum Abbruch gebracht haben soll, hat seinen Strafbefehl akzeptiert. Er wird mit acht Monaten Haft, ausgesetzt zur Bewährung, bestraft.
VON GEORGE STAVRAKIS
Drei Stunden Verhandlung vor dem Amtsgericht, eine Videovorführung und mehrere Zeugenaussagen haben den knapp 40-jährigen Fan des VfB Stuttgart zu der Erkenntnis kommen lassen, dass für ihn vor Einzelrichter Stefan Biehl nichts zu holen ist. Um die drohende noch höhere Strafe wegen gefährlicher Körperverletzung abzuwenden, lenkten er und sein Verteidiger Franz Friedel ein. Damit war der zuvor bereits mehrfach geplatzte Prozess ohne Urteil beendet.
Jetzt kommen auf den Hartz-IV-Empfänger aus Bad Cannstatt Schadenersatzansprüche der Stuttgarter Kickers zu. Die Kickers sprechen von rund 50 000 Euro, bestehend aus der Strafe vom DFB, Anwaltskosten und Kosten für das Fangnetz, das der Regionalligaverein wegen des Becherwurfs vor die Gegengerade hat spannen müssen.
Es war der 25. Oktober 2006, der den Angeklagten wahrscheinlich viel Geld kosten wird. Die Kickers spielten im DFB-Pokal im ausverkauften Gazistadion auf der Waldau gegen Hertha. Beim Stand von 2:0 für die Berliner flog in der 74. Minute ein halbvoller Bierbecher aus Hartplastik aus dem B-Block Richtung Spielfeld, traf Schiedsrichterassistent Kai Voss an der Wirbelsäule und streckte ihn für kurze Zeit nieder. Das Spiel wurde abgebrochen, die Kickers als Gastgeber vom DFB bestraft. Das Fernsehen zeigte die Bilder und sprach von einem „Skandalspiel“. Noch im Stadion wurde der wegen früherer Gewalttätigkeiten im Rahmen von Fußballspielen vorbestrafte Mann dingfest gemacht.
„Ich habe mich hinreißen lassen, es tut mir leid“, gibt der Angeklagte zu. Er besteht darauf, dass er sich vor mehr als zehn Jahren von der Hooligan-Szene losgesagt habe. Ob es allerdings sein Becher war, der den Linienrichter getroffen hat, wisse er nicht. Tatsächlich waren mehrere Becher aufs Spielfeld geworfen worden. Eine Zeugin legte sich fest und ließ sich auch durch ihre Vereidigung nicht ins Bockshorn jagen. Sie sagte aus, der Angeklagte habe geworfen – und getroffen. Andere Zeugen sagten, der Mann sei nach dem Becherwurf von seinen Kumpeln mit Schulterklopfen beglückwünscht worden. „Volltreffer“ habe einer aus der Gruppe gesagt.
Zuerst hatte der Verteidiger bezweifelt, dass man einen Becher über den Zaun überhaupt auf den Linienrichter werfen kann. Die Polizei stellte das Geschehen im Kickers-Stadion nach. Fazit nach der Videodemonstration im Gerichtssaal: Es ist möglich. Der damals noch unter Bewährung stehende Mann zog seinen Einspruch zur Zufriedenheit von Staatsanwalt Michael Greven zurück. „Das erspart uns weitere Zeugen und die Berufung vor dem Landgericht“, so der Ankläger.
Wann nun das Netz vor der Gegengerade im Gazistadion abgenommen werden darf, ist unklar. Falls nichts mehr passiert, können die Kickers Ende dieser Saison einen Antrag beim DFB stellen.
Stuttgarter Nachrichten
Becherwerfer verknackt!
2006 Spielabbruch verursacht – Kickers wollen Schadenersatz
Am 25. Oktober 2006, beim Pokalspiel der Kickers gegen Hertha im Gazi-Stadion, wurde Linienrichter Kai Voss mit einem Hartplastik-Becher am Rücken getroffen und verletzt. Das Spiel wurde abgebrochen.
Jetzt ist der Becherwerfer, Kai-Oliver B. (39) aus Stuttgart, wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Das Amtsgericht Stuttgart setzte die Strafe zur Bewährung aus. Der mehrfach Vorbestrafte muss außerdem 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.Nach dem Wurf in der 80. Minute (Stand 2:0 für Berlin) wertete der DFB das Spiel mit 0:2 gegen die Kickers. Die Blauen mussten 10.000 Euro Strafe zahlen und für 40.000 Euro ein Fangnetz vor der Gegentribüne anbringen.
Manager Joachim Cast: „Neben dem Imageschaden ein finanzieller Verlust. Wir werden zivilrechtliche Schritte gegen den Verurteilten einleiten und versuchen, Schadenersatz zu bekommen.“
Cast weiter: „Es war ja kein Kickers-Anhänger.“ Früher sei B. schon als Hooligan bei Spielen des VfB aufgefallen.
BILD