Den Stuttgarter Kickers droht in der Regionalliga die Insolvenz – „Traurig, was passiert“
Stuttgart – Die Auswahl der Musik hätte treffender nicht sein können. „The Final Countdown“ von der Gruppe Europe dröhnte aus den Boxen im Stadion an der Waldau, bevor die Stuttgarter Kickers in der Regionalliga Süd zu ihrem Nachholspiel gegen den SC Pfullendorf antraten. Das Lied hatte nachhaltige Wirkung. Denn die Profis des Tabellen-19. siegten 2:0 und schafften damit nicht nur den ersten Heimsieg der Saison, sondern den ersten Erfolg seit dem 26. Mai 2007 überhaupt.
Dennoch hält sich der Jubel in Grenzen. „Es war ein erster Schritt, mehr nicht“, sagt Stefan Minkwitz. Er ist der Trainer des 109 Jahre alte Traditionsverein aus dem Stadtteil Degerloch, aus dem so berühmte Spieler wie Jürgen Klinsmann, Guido Buchwald, Karl Allgöwer oder Fredi Bobic hervorgegangen sind.
Nach der enttäuschenden Hinrunde hatte der Verein in der Winterpause für das neue Jahr „die Mutter aller Rückrunden“ ausgerufen. Doch noch beträgt der Rückstand auf Platz zehn sieben Punkte. Den aber wollen die Kickers unbedingt erreichen, um in der neuen Saison Mitglied der dann neu eingeführten eingleisigen Dritten Liga zu sein.
Da es bis dahin aber noch ein weiter Weg und nicht wirklich abzusehen ist, ob die Kickers die Qualifikation schaffen, geht bei einigen Spielern die Angst vor der Zukunft um. Von der Vereinigung der Vertragsspieler (VdV) haben sie kürzlich einen Brief erhalten, in dem ihnen noch einmal aufgezeigt wurde, dass ihre laufenden Verträge bei einem Abstieg in die vierte Liga ungültig seien. Sie müssten sich arbeitslos melden, anderenfalls wären sie gesperrt und nicht spielberechtigt.
Derart düstere Aussichten lähmen offensichtlich die Glieder. Wobei die Qualität des Teams ohnehin nicht die beste ist. Wie selbst Präsident Dirk Eichelbaum findet, der seinen Angestellten kürzlich ein vernichtendes Urteil ausgestellt hat: „Aus dieser Truppe würde nicht mal Ottmar Hitzfeld was rausholen“, sagte der Kickers-Chef und fügte mit etwas Sarkasmus hinzu: „Sie dürfen weiterwursteln, bis sie sich arbeitslos gemacht haben.“
Harte Worte mit Blick auf einen Verein, der an der Seite des Lokalrivalen VfB Stuttgart, den „Roten“, einige Jahre durchaus eine Rolle im bezahlten Fußball gespielt hat. Vor dem Krieg waren die „Blauen“, wie die Kickers genannt werden, bekannt durch ihren „100-Tore-Sturm“ um Spieler wie Günter Sosna, Siegfried Kronenbitter oder Edmund Conen. 1989 und 1992 schafften sie den Aufstieg in die Bundesliga, 1987 erreichten sie sogar das DFB-Pokalfinale. Doch der sportliche Erfolg ging schon damals einher mit einem ständigen Kampf um die Existenz. Nur weil der inzwischen verstorbene Präsident und Brillenfabrikant Axel Dünnwald-Metzler, der von 1979 bis 2003 im Amt war, immer wieder mit privatem Geld aushalf, konnten die Kickers überleben.
Nach seinem Rücktritt war es Hans Kullen, der die Geschicke leitete. Der Versicherungskaufmann von der Schwäbischen Alb stellte Privatgeld als zinsloses Darlehen zur Verfügung, um den Verein am Leben zu erhalten. Dennoch gab es immer wieder Streit. Als Kullen keine Rückendeckung mehr spürte, warf er 2007 entnervt das Handtuch und wechselte in die Führungsetage des SSV Reutlingen. „Ich habe den Verein mit einem Guthaben von 601 000 Euro verlassen. Drei Monate später waren davon nur noch 136 000 übrig. Wo ist das ganze Geld geblieben?“, fragt er.
Nun fordert Kullen sein Darlehen von 450 276,62 Euro und Vertragszinsen in Höhe von 57 273,67 Euro zurück: „Das bin ich meinen Kindern und Enkeln schuldig.“ Er sagt, er habe seine Nachfolger mehrmals gebeten, ihm ein Angebot zu machen, wie die Angelegenheit am friedlichsten zu regeln sei. Doch bis heute sei keine Reaktion erfolgt. „Deshalb habe ich jetzt meinen Rechtsanwalt zur Durchsetzung meiner Interessen beauftragt“, sagt er.
Sollten die Kickers diesen Kampf verlieren, stehen sie vor der Insolvenz. Aus dem blauen Adel von einst sind Bettelmänner geworden. Weltmeister Guido Buchwald findet es „traurig, was dort abläuft. Mir blutet das Herz“.
Es herrschte wirklich Endzeitstimmung am Dienstag. Auch nach dem Spiel. Ich war erst zum zweiten Mal in dieser Saison zu Gast. Im VIP-Raum stand einer, der meinte er müsse auch noch irgendwie bei den Kickers mitreden, versunken an einem der kitschigen Bistrotischen: „MachensemirnochnBier“, nuschelte er an die Ordonnanz hin. Traurig. Traurig auch mein besonderer Freund, der Buchstabenrastelli, der mit tuntenhafter Agilität zu glänzen versuchte und hektisch im Raum herumirrte. Unglaublich. „Wir hatten ja keinen Sozialplan“, klagte mir kürzlich der Hans. Nur Luschen. Den Höhepunkt an diesem Abend landete jemand anderes, mit einem schrecklichen Schwäbisch, welches wohl auf diese für alle Zuhörer quälenden Weise nur in Heslach gesprochen wird, barmte er: „Jaaa, gibt’s den hoid koinen Braaaaten?“ Und das in einer Lautstärke, die alle anderen im Gespräch befindlichen kurz Schweigen ließ – vor Entsetzen! Hat der Mensch den keine andere Sorgen? Ach, ich musste an gute alte Zeiten denken, mit Edith Nieber, dem Walter, dem ADM – vorbei, vorbei, alles aus und vorbei. Macht ein Ende mit diesem Elend!, möchte man den verbliebenen Laiendarstellern zurufen. Aber mir ist es zwischenzeitlich egal!