Im K-Block
Wir sind zurück im Innern der Welt, in der Seele des Fußballs, und wir sind nicht in München. In Stuttgart diskutieren sie noch über die neue Mercedes-Arena, da haben wir längst Platz genommen im mondänsten aller Stadien. Ich sitze, den kleinen Computer vor der Nase, in der Fußballkneipe. Mag die Bar selbst rauchfrei nicht nach Glanz und Gloria von Thurn und Taxis riechen, mag sie nicht als Vip-Room taugen, so dient der Strafraum am Tresen doch immer noch als Hip-Lounge: alle Mann auf Ballhöhe. Die Bildschirme sind flacher geworden. Das Publikum ist so klug und gerecht wie eh und je.
Es ist kurz vor fünf, in München geben sie den Südgipfel Bayern vs. VfB, in der Fußballkneipe Ackermanns dröhnt Rock“n“Roll. Die Kneipe ist voll, neben mir hat der Kfz-Meister Eddy, 41, als mein Co-Kommentator Position bezogen. Eddy weiß wie ich, dass die Stimmung in der Kneipe ein Spiel beeinflussen kann. Diese These hat der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit formuliert, und sie ist wahr. Der Glaube kann Berge versetzen und der Kneipen-Groove Bälle fernlenken. Die Kneipe – der Sound lässt keine Zweifel – ist bereit: Wir sind die Arena. Die Wände werden zittern, die Wellen die Straße erfassen und über die A 8 nach München jagen.
Es geht, verdammt, nicht um viel in diesem Spiel? Quatsch, sagt Eddy, alles eine Frage der Ehre. Es gibt jeden Tag einen Grund, die Bayern in den Sack zu hauen. Heute ist ein guter Tag: Der alte Meister, sagt Eddy, wird den neuen schlagen.
Es geht um alles, man macht keine Witze. Der Südgipfel ist, Weizenbier hin oder her, kein Weißwurstzipfel. Alles klar, sage ich – und Luca Toni schießt das 1:0 für Bayern. Eddy leidet still und bewegungslos. Ein Schock in Zeitlupe. Nirgendwo benehmen sich Fans anständiger als im globalen K-Block, der großen Fußballkneipe. Gott dankt es, ein paar Minuten später haben die Wellen die A 8 verlassen und erreichen die Allianz-Arena: da Silva schießt das 1:1. Und wenn Sie, meine Damen und Herren, neben mir säßen wie Eddy, würden Sie mir glauben: In der Kneipe könnten Sie fühlen, wie es ist, einem Bazi ins Gesicht zu schauen. Im Flohzirkus des Daimlerstadions können Sie nicht mal unterscheiden, ob gerade Luca Toni oder der Eisverkäufer durchs Stadion läuft.
Eddy sagt, er muss für kleine Jungs, und das ist korrekt, denn in der Kneipe singt zur Pause der alte Schleimer Campino von den Toten Hosen: „Ich würde nie zum FC Bayern München gehen.“ Sag ich doch, dieser Song bringt Unglück. Warum, fragt Eddy, macht sich der Schäfer im VfB-Tor nicht länger? Heißt er vielleicht Bastürk? Van Bommel trifft zum 2:1. Soll ich noch mehr erzählen aus der Fußballbar? Geht nicht. Hörsturz. Strich. Punkt. Koma.
Wenn Sie meinen Live-Report aus der Fußballkneipe lesen, meine Damen und Herren, mag er Ihnen kälter aufstoßen als Ihr Kaffee. Aber ich habe den Auftrag, es Ihnen auch im Namen von Eddy zu sagen: Der FC Bayern ist Pokalsieger. Der FC Bayern wird deutscher Meister. Aber den Triumph des Triples haben Gottes Wellen verhindert: Der FC Bayern liegt abgeschlagen auf Platz acht der Regionalliga Süd, nur einen Rang vor den Stuttgarter Kickers.
Stuttgarter Nachrichten