Nicht nur ein Hütchenaufsteller
STUTTGART. Rainer Kraft bestreitet heute seine Heimpremiere als Co-Trainer des Fußball-Drittligisten Stuttgarter Kickers. Ausgerechnet im Derby gegen die zweite Mannschaft des VfB, bei dem er einst vier Jahre lang tätig war.
Von Joachim Klumpp
Der Name ist so etwas wie Programm. „Meine ganze Kraft gilt jetzt den Kickers.“ Das sagt Rainer Kraft, der neue Co-Trainer. Heute Abend feiert er seine Heimpremiere, ausgerechnet gegen den VfB. Denn der Lokalrivale spielt in seiner Vita durchaus eine Rolle, auch wenn das nicht alle Kickers-Fans gern hören mögen. Auf dem Wasen fungierte er als Physiotherapeut; Trainer kamen und gingen – Kraft blieb, vier Jahre lang bis 2001.
„Eine interessante Erfahrung“, sagt der 46-Jährige, der auch Sportlehrer ist. In der Zusammenarbeit mit Joachim Löw, Winfried Schäfer, Wolfgang Rolff, dem heutigen Trainerkontrahenten Rainer Adrion, Ralf Rangnick und Felix Magath bekommt man was mit. Zum Beispiel wie Rangnick die international schon etablierte Viererkette einführte. Und wie der Routiniers wie Thomas Berthold und Frank Verlaat an die (lange) Leine nahm, damit sie die neue taktische Abwehrvariante verinnerlichten. „In Deutschland war das fast revolutionär“, sagt Kraft.
Ein Revolution will er in Degerloch zwar nicht gleich anzetteln, aber auf Dauer gibt es schon noch Potenzial für Verbesserungen, zum Beispiel in der Talentsichtung, was auch in sein Aufgabengebiet fällt. „Ich würde lieber Geld in eine Spielerdatei investieren als in einen weiteren Spieler“, sagt Kraft – perspektivisch gesehen. Zunächst einmal gilt es, die Mannschaft auf Vordermann zu bringen. Was nicht heißen soll, dass der vorige Chefcoach Stefan Minkwitz schlechte Arbeit geleistet habe, „das ist vielleicht manchmal etwas falsch rübergekommen“. Aber die Philosophie von Edgar Schmitt – offensiv und attraktiv – erfordert eben eine andere Grundlagenausdauer. An der wird gearbeitet, auch mit Rainer Kraft: „Der heutige Fußball basiert auf einer exzellenten Physis.“
Auf dem Platz fühlt sich der ausgebildete Fußballlehrer nicht in der Rolle des Handlangers, der nur Hütchen aufstellt oder Leibchen verteilt. „Edgar Schmitt bezieht einen voll mit ein, das macht die Arbeit erst reizvoll.“ Wobei das letzte Wort stets der Chef hat, „und seine Entscheidung trage ich mit“.
So war es schon beim VfR Aalen, wo die beiden erstmals zusammenkamen. Nach einem kurzen Schnupperkurs stellten sie fest: die Chemie stimmt. Und nachdem bei den Kickers die angedachte interne Lösung mit dem Oberligatrainer Björn Hinck nicht zustande gekommen war, griff Schmitt auf seinen bewährten Partner zurück. „Er weiß, wie ich arbeite und denke“, sagt Schmitt. Im Klartext lautet die Philosophie: lieber zwei Siege und zwei Niederlagen, als vier Unentschieden. „Da habe ich mehr Punkte, die Spieler mehr Prämien und der Verein zufriedenere Zuschauer“, nennt Kraft die Vorteile.
Die Kickers sind für ihn ein ideales Terrain, zumal er hier wohnt und aus Stuttgart stammt; zu Zeiten eines Torhüters Rolf Gerstenlauer in den 1970er Jahren war er gerne als Zuschauer in Degerloch. Später arbeitete Kraft, der schon eine eigene Praxis als Physiotherapeut besaß, beim Karlsruher SC unter Edmund Becker. An Erfahrung mangelt es also nicht, auch wenn er als Fußballer nicht über die Verbandsliga (TSV Reichenbach/Baden) hinauskam. Das lag auch daran, dass er erst in der A-Jugend in einer Mannschaft spielte, das aber nicht schlecht.
Diese Laufbahn erinnert ein wenig an den früheren Kickers-Coach Robin Dutt, der ja auch als Co-Trainer anfing – heute ist er Chefcoach beim Zweitligisten SC Freiburg. „Mein Ziel war es immer, im Fußball mein Geld zu verdienen“, sagt Kraft. Auch wenn bei den Kickers keiner reich wird. Doch er weiß: „Wenn wir Erfolg haben, ist das auch eine Reputation für uns Trainer.“ Und vielleicht ein Sprungbrett für höhere Aufgaben. Natürlich wäre er gerne Chef, aber nicht auf Teufel kommt raus. Kraft drückt es so aus: „Lieber in der ersten oder zweiten Liga zweiter Mann als in der Oberliga erster.“
Als Rainer Kraft und Stefan Minkwitz sich im Mai beim Bezirkspokalfinale trafen, da versprach der damalige Aalener Co-Trainer dem damaligen Kickers-Chefcoach: „Wir schlagen euren Konkurrenten Siegen.“ Gesagt, getan – das half den Kickers bei der Drittliga-Qualifikation. Ein gutes Omen? Denn jetzt sagt Kraft: „Das Ziel ist, so schnell wie möglich über den Strich zu kommen und am Ende den Ligaverbleib zu schaffen – aber das packen wir“, betont der Co-Trainer. Wenn“s sein muss mit einem Kraft-Akt.
Stuttgarter Zeitung