Ein Dämpfer zur rechten Zeit?
Die Kickers-Niederlage gegen Erfurt zeigt, dass der Klassenverbleib kein Selbstläufer wird
STUTTGART. Nach dem 1:2 gegen Erfurt in der dritten Liga scheiden sich die Geister bei den Stuttgarter Kickers vor allem an Orlando Smeekes. „Bei ihm wechseln Licht und Schatten“, sagt der Kickers-Manager Joachim Cast.
Von Joachim Klumpp
Bundesweit gedachten am Wochenende alle Fußballclubs bis zur Oberliga der Opfer des Amoklaufs von Winnenden. Doch bei keiner Partie war die Anteilnahme so omnipräsent wie bei der zwischen den Stuttgarter Kickers und Rot-Weiß Erfurt. Es war fast schon Ironie des Schicksals, dass hier die beiden Vereine aufeinandertrafen, die von Schulmassakern am nächsten betroffen waren: in Winnenden und vor sieben Jahren in Erfurt.
In den 90 folgenden Minuten galt der Blick dann wieder dem Fußball, auch wenn der aus Sicht der Kickers durch die Heimniederlage zusätzlich getrübt wurde. Denn nach zuletzt zwei Siegen bestand berechtigte Hoffnung, dass die Mannschaft mit weiteren Punkten endlich mal wieder die rote Laterne abgeben könnte. Doch daraus wurde nichts, obwohl die Weichen gestellt schienen. Denn zunächst einmal profitierten die Kickers bei ihrer Führung von einem Torwartfehler Orlishausens und kurz vor der Pause noch von einer rüden Attacke Pesolats gegen Parmak, die glatt mit Rot bestraft wurde, so dass selbst Erfurts Trainer Karsten Baumann zugeben musste: „Berechtigt“. Doch weder aus der vermeintlichen Unsicherheit des Schlussmannes noch der numerischen Überlegenheit konnten die Kickers Kapital schlagen. Im Gegenteil: durch einen individuellen Fehler von Steinle hieß es 1:2, nach 52 Minuten und am Ende. Ein Rückschlag – zur rechten Zeit? Der Trainer Edgar Schmitt gibt sich gelassen: „Es werden Vereine unten reinkommen, die noch gar nicht daran denken.“
Dass Orlando Smeekes nach dem Schlusspfiff vor 3690 Zuschauern mit sich und der Welt haderte, hatte seinen Grund. Denn der Niederländer offenbarte wieder einmal seine zwei Gesichter. „Licht und Schatten“, so der Manager Joachim Cast, wobei Letzteres diesmal überwog. In seinem Übereifer provozierte er unnötige Zweikämpfe, so dass am Ende ein möglicher Elfmeterpfiff ausblieb, doch nicht nur das ärgerte Schmitt: „Man kann auch mal schießen.“ Das tat er danach, am Tor vorbei. Der Kapitän Alexander Rosen monierte nach dem Schlusspfiff: „Vielleicht hätten wir in Überzahl noch mehr Druck entwickeln müssen.“ Und vor allem früher.
Denn zwei Dinge müssen sich die Kickers bei allem Eifer schon vorwerfen lassen. Zunächst einmal versäumten sie es, von Beginn an zu zeigen, wer Herr im Hause ist, so dass die Erfurter ihr gefälliges Spiel aufziehen konnten und vor der Pause dominant waren. Zum Zweiten, dass nach der Führung der Gäste fast eine halbe Stunde lang nicht allzu viel passierte, jedenfalls nichts Zwingendes, nichts Durchdachtes. „Das Powerplay war manchmal etwas ungeordnet“, sagte Schmitt dazu, „und dann vergibt man Chancen.“
Marco Tucci zuletzt, davor auch Landeka – und natürlich Smeekes. Wobei sich speziell am Holländer (Motto: „Warum einfach, wenn“s auch kompliziert geht“) die Geister schieden. Was schon mit seiner taktischen Rolle begann. Als Sturmspitze scheint er irgendwie fehl am Platze, weil er dort seine Schnelligkeit nicht so ausspielen kann, beziehungsweise permanent ins Verderben, sprich Abseits rennt. Andererseits ist es sicher kein Zufall, das der „Paradiesvogel“ (Cast) an den drei Treffern in dieser Woche beteiligt war, wobei er die allesamt über die Flügel eingeleitet hat, das ist sein Terrain, wo er sich am wohlsten fühlt, nachdem ihm der Trainer in puncto Einstellung in der Winterpause schon die Leviten gelesen hat.
Bleibt abzuwarten, was in den nächsten Spielen – schon morgen in Sandhausen – überwiegt: Genie oder Wahnsinn. Denn in den kann Smeekes jeden Trainer treiben.
Stuttgarter Kickers: Salz – Steinle, Traub, Mann, Gentner (62. Köpf) – Deigendesch (57. Tucci), Rosen – Traut, Parmak (65. Gambo), Landeka – Smeekes.
Erfurt: Orlishausen – Stenzel, Pohl, Loose, Schnetzler – Hauswald (73. Wolf), Peßolat, Rockenbach, Semmer (86. Carolus) – Pagenburg (46. Pinske), Cannizzaro.
Schiedsrichter: Christian Leicher (Weihmichl).
Tore: 1:0 Deigendesch (34.), 1:1 Pagenburg (43.), 1:2 Semmer (51.).
Rote Karte: Peßolat wegen groben Foulspiels (45.).
Stuttgarter Zeitung
Kickers fehlt ein Knipser
Gegen Erfurt werden viele Torchancen vergeben – Bundesligisten an Salz dran
Stuttgart – Sie spielten mit heißem Herzen. Doch am Ende fehlte der kühle Kopf. Trotz vieler Torchancen und einem Mann mehr auf dem Platz verloren die Stuttgarter Kickers gegen RW Erfurt mit 1:2. Ein Rückschlag, aber noch lange nicht der Untergang im Kampf gegen den Abstieg.
VON JÜRGEN FREY
Joachim Cast gilt nicht gerade als Hitzkopf. Der Kickers-Manager wird in der Branche als ruhiger und sachlicher Vertreter geschätzt. In der Schlussphase des Drittligaspiels gegen Erfurt aber platzten die Emotionen aus ihm heraus. Er unterzog das Dach über der Trainerbank einem intensiven Materialtest. Nach jeder vergebenen Möglichkeit donnerte der 41-Jährige dagegen. „Es ist doch zum Verrücktwerden, wir haben nach dem 1:2-Rückstand 1000 Chancen und machen keine rein“, ärgerte sich Cast.
1000 waren es nicht, aber zumindest fünf glasklare Möglichkeiten versiebten Josip Landeka, Simon Köpf, Marco Tucci und zweimal Orlando Smeekes, der zudem noch elfmeterreif von den Beinen geholt wurde. Vor dem Tor versagten den leidenschaftlich kämpfenden Blauen die Nerven. Was zu der nüchternen Erkenntnis führt: Dem Team fehlt ein Torjäger, ein Knipser, der auch mal aus keiner Chance einen Treffer macht.
Smeekes ist pfeilschnell, ein guter Vorbereiter, doch ein Gerd Müller wird aus ihm garantiert nicht mehr. Große Alternativen nach dem Abgang von Angelo Vaccaro haben sich bisher nicht aufgedrängt. Marco Tucci und Danny Galm müssen stärker die Ellbogen ausfahren – ihnen fehlt die körperliche Robustheit. Die hat Sokol Kacani zwar, aber die Klasse für die dritte Liga blieb er in seinen Kurzeinsätzen bisher schuldig. Bleibt noch Michael Schürg. Er erarbeitete sich in der Hinrunde viele Chancen, zeigte vor dem Tor aber auch Nerven. Nach seinen Achillessehnenproblemen in der Vorbereitung sucht der 24-Jährige jetzt wieder den Anschluss ans Team.
Was Trainer Edgar Schmitt zu der Problematik sagt? „Natürlich müssen wir vor dem Tor cleverer werden“, beklagt er das Unvermögen im Strafraum, doch gleichzeitig nimmt er die Spieler auch in Schutz: „Wenn wir nicht so ungeordnet anrennen, tun sich die Angreifer auch leichter.“
Das soll schon morgen (19 Uhr) im Nachholspiel beim SV Sandhausen besser werden. Mustafa Parmak (verstauchter Knöchel am Sprunggelenk) wird auf der Bank sitzen, für ihn beginnt Bashiru Gambo. „Mund abputzen und weitermachen“, gibt Kapitän Alexander Rosen als Motto aus. Auch Manager Cast dürfte sich wieder abreagiert haben – und die nicht ganz leichten Planungen für die kommende Runde vorantreiben. Immer wahrscheinlicher wird der Abgang von Torwart Manuel Salz. „Er wird kaum zu halten sein“, sagt sein Berater Ronny Zeller und spricht von mehreren Anfragen, darunter auch zwei aus der Bundesliga. Es sieht so aus, als hätten die Blauen bald nicht mehr nur das Problem des fehlenden Knipsers.
Neue Spieltermine: Union Berlin – Kickers (12. April, 14 Uhr), Kickers – Jahn Regensburg (15. April, 19 Uhr/Gazistadion).
Stuttgarter Nachrichten
Ganz schnell abhaken
Die Stuttgarter Kickers verlieren durch die 1:2-Niederlage gegen Rot-Weiß Erfurt wieder an Boden im Abstiegskampf
Stuttgart – Aufwärtstrend gestoppt: Die Stuttgarter Kickers haben die Chance verpasst, den letzten Tabellenplatz zu verlassen. Nach zuletzt zwei Siegen in Folge, die im Abstiegskampf Mut machten, erlitt der Fußball-Drittligist beim 1:2 (1:1) gegen den FC Rot-Weiß Erfurt einen herben Rückschlag. Durch die Heimniederlage vergrößerte sich der Abstand auf die Nichtabstiegsplätze wieder auf fünf Punkte.
Von Beate Wockenfuß
Die Tristesse unterm Fernsehturm ist schneller zurück als befürchtet. Während die Erfurter Fans ihr Team, das 45 Minuten in Unterzahl spielte und die Partie trotzdem drehte, feierten, lagen die „Blauen“ deprimiert und erschöpft auf dem Rasen. Kickers-Trainer Edgar Schmitt raste fauchend in die Kabine, Verteidiger Torsten Traub stapfte ebenso wütend hinterher – und der glücklose Stürmer Orlando Smeekes brüllte seinen Frust in den Katakomben heraus. „Wir hatten in der zweiten Hälfte Chancen für zwei Spiele“, resümierte Kapitän Alexander Rosen nach dem erfolglosen Powerplay der leidenschaftlich kämpfenden Hausherren enttäuscht. „Wenn man so aus der Unordnung spielt, dann vergibt man eben auch große Chancen“, ärgerte sich Coach Schmitt und ergänzte frustriert: „Vielleicht war auch ein bisschen Unvermögen dabei.“Benedikt Deigendesch hatte die Kickers in der 34. Minute in Führung gebracht und dabei von einem Fehler des Erfurter Torhüters Dirk Orlishausen profitiert, der den Ball fallen gelassen hatte. Chhunly Pagenburg glich vor der Pause zum 1:1 (43.) aus. Dass Matthias Peßolat kurz danach wegen eines groben Fouls an Mustafa Parmak Rot (45.+1) sah, ließ die Hoffnungen der Kickers auf den dritten Sieg in Folge wachsen. Doch daraus wurde nichts. Nach einem Fehler des ansonsten guten Rechtsverteidigers Moritz Steinle gelang Tino Semmer das 2:1 (51.). Danach zog sich Erfurt zurück – und sowohl Smeekes (54., 89.) als auch Marco Tucci (59., 81.), Josip Landeka (64.) und Simon Köpf (74.) vergaben kläglich. „Die Niederlage ist ärgerlich, aber wir müssen sie jetzt ganz schnell abhaken“, forderte Rosen. Viel Zeit zum Nachtrauern bleibt den Kickers sowieso nicht. Bereits morgen (19 Uhr) treten sie zum Nachholspiel beim SV Sandhausen an. Schmitt blickt weiter optimistisch gen Klassenverbleib. „Wir werden es schaffen. Die Jungs sind da, sie können jeden Gegner schlagen“, betont er und ist sich sicher: „Da wird noch sehr viel passieren. Wir werden Vereine einholen, die noch gar nicht damit rechnen.“
Statistik
Stuttgarter Kickers: Salz – Steinle, Mann, Traub, Gentner (62. Köpf) – Deigendesch (57. Tucci), Rosen – Traut, Parmak (65. Gambo), Landeka – Smeekes.
FC Rot-Weiß Erfurt: Orlishausen – Stenzel, Pohl, Loose, Schnetzler – Hauswald (73. Wolf), Peßolat, Rockenbach, Semmer (86. Carolus) – Pagenburg (46. Pinske), Cannizzaro.
Schiedsrichter: Leicher (Weihmichl).
Zuschauer: 3690.
Tore: 1:0 Deigendesch (34.), 1:1 Pagenburg (43.), 1:2 Semmer (51.).
Gelbe Karten: Gambo / Schnetzler, Semmer, Hauswald, Rockenbach.
Rote Karte: – / Peßolat (45.+1/grobes Foulspiel).
Beste Spieler: Salz, Rosen / Rockenbach, Semmer.
Eßlinger Zeitung
Peßolat sieht den Roten Karton
Engagierte Erfurter siegen in Unterzahl
Rot-Weiß Erfurt gelang es trotz der 1:0-Führung der Kickers und der Roten Karte von Peßloat, drei Punkte aus Stuttgart mit nach Hause zu nehmen. Eine gute Moral und die Treffer von Pagenburg und Semmer besorgten den Auswärtssieg.
Trotz des 2:1-Erfolges gegen Unterhaching änderte Kickers-Coach Edgar Schmitt seine Startformation auf vier Positionen: Deigendesch, Gentner, Traut und Parmak ersetzten Köpf, Ortlieb, Galm und Gambo.
Auch Rot-Weiß Erfurts Trainer Karsten Baumann sah nach dem enttäuschenden 1:4 gegen Paderborn Handlungsbedarf und ließ für Möckel und Cinaz Loose und Peßolat von Beginn an auflaufen.
Sowohl die Kickers als auch die Erfurter starteten engagiert in die erste Hälfte dieser Partie und begannen früh, Druck auf den Gegner aufzubauen. Die Spielanteile waren ausgeglichen, eine klare Dominanz einer der beiden Teams nicht abzusehen, ehe die Schmitt-Elf nach einer halben Stunde einen Gang höher schaltete. Die Bemühungen der Stuttgarter wurden prompt belohnt: Die Flanke von Smeekes konnte Orlishausen erst noch abwehren, doch Deigendesch traf im Nachschuss zum 1:0 (34.). Die Erfurter zeigten sich von diesem Gegentor jedoch unbeeindruckt und spielten munter nach vorne und erzielten noch vor dem Pausenpfiff durch den Ex-Nürnberger Pagenburg den Ausgleichstreffer (43.). Doch dann gab es noch einen Aufreger von Seiten der Rot-Weißen, als Peßolat nach grobem Foulspiel an Parmak die Rote Karte sah (45.+2). Nun musste die Baumann-Elf eine komplette Halbzeit in Unterzahl auskommen.
Die zweiten 45 Minuten begannen mit einer Überraschung: Die dezimierten Erfurter begannen trotz Unterzahl offensiv und schienen sich mit einem Punkt nicht zufrieden geben zu wollen und waren in ihrem Bemühen rasch erfolgreich. In der 52. Spielminute überwand Semmer nach einem Alleingang Kickers-Keeper Salz zum 2:1 und drehte die Partie. Die Kickers waren nicht in der Lage, Kapital aus der zahlenmäßigen Überlegenheit zu schlagen. Die verbliebenen zehn Erfurter kämpften um die drei Punkte und ließen wenige Möglichkeiten für den Stuttgarter Ausgleich zu. Somit gewannen die Gäste nach guter moralischer und spielerischer Leistung verdient mit 2:1.
Die Stuttgarter Kickers müssen am kommenden Dienstag in Sandhausen ran und Erfurt erwartet mittwochs den VfR Aalen.
Kicker