Zeitung zu Paul Kühnle, der heute 123 Jahre alt geworden wäre

„Der zäheste Verteidiger, den ich kenne“
Gmünder Sportler von einst: Paul Kühnle, einer der ersten Fußballer im Nationaltrikot Deutschlands
Heute vor 123 Jahren, am 10. April 1885, hat Paul Kühnle in Stuttgart das Licht der Welt erblickt. Er avancierte zu einem der besten Fußballer Deutschlands.

Klaus Westermayer
Die deutsche Nationalmannschaft vor dem Länderspiel 1910 in Basel, das sie gegen die Schweiz mit 3:2 gewann. Paul Kühnle (zweiter Spieler von rechts) gab damals sein Debüt im Nationaltrikot.
 
Paul Kühnle im Trikot der Stuttgarter Kickers. (Foto: dpa)Am 5. April 1908 bestritt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr erstes offizielles Länderspiel, verlor in Basel 3:5 gegen die Schweiz. In den 100 Jahren danach kamen in weiteren 799 Begegnungen vier Spieler zum Einsatz, die zwar nicht aus der hiesigen Region stammten, aber aus sportlichen oder beruflichen Gründen hierzulande ihren Wohnsitz aufschlugen. Anton Kugler, siebenfacher Nationalspieler des 1. FC Nürnberg zwischen 1923 und 1927, der in der Silcherstraße wohnte und dessen Sohn Horst seit vielen Jahren in Unterkochen lebt, führte 1947 als Trainer den 1. FC Normannia in die Landesliga, die damals nach der Oberliga Süd zweithöchste Spielklasse. Ihm folgte als Spielertrainer 1948 Albert Sing (Stuttgarter Kickers), der zwischen 1940 und 1942 neun Länderspiele absolvierte und am 7.April in der Nähe von Lugano im Tessin seinen 91. Geburtstag gefeiert hat. Und in Essingen lebte Lothar Richter vom Chemnitzer BC, der 1941 gegen Finnland zum Einsatz gekommen war. Als der Sachse 1912 geboren wurde, da hatte Paul Kühnle von den Suttgarter Kickers bereits zwei Länderspiele hinter sich. Der spätere Regierungs-Vermessungsrat fand zu Beginn des 2. Weltkriegs in Schwäbisch Gmünd eine neue berufliche Herausforderung, war Leiter des Staatlichen Vermessungsamts und lebte hier bis zu seinem Tod im Alter von 85 Jahren am 28. Dezember 1970. Paul Kühnle ist unsere sportliche Rückblende gewidmet.
Heute vor 123 Jahren, am 10. April 1885, hatte Paul Kühnle in Stuttgart das Licht der Welt erblickt. 1901, zwei Jahre nach Gründung der Stuttgarter Kickers, hatte er sich mit 16 Jahren dem Traditionsverein angeschlossen, war schon 1902 Ersatz der ersten Mannschaft und wurde als rechter Verteidiger 1906 Stammspieler, als sich die Degerlocher anschickten, in die Phalanx der besten deutschen Vereine vorzustoßen. So gelang ein 2:1-Sieg über den deutschen Meister VfB Leipzig.
Er stand seinen Mann in der Abwehr, als die Kickers 1908 das deutsche Endspiel gegen Viktoria 89 Berlin erreichten, nachdem sie Titelverteidiger Freiburger FC (5:2) und den Duisburger SV (5:1) bezwungen hatten. Im Finale dominierten die Schwaben über weite Strecken, brachten jedoch den Ball auch aus bester Position nicht im Tor des Gegners unter, der schließlich mit 3:0 gewann.
Zwei Jahre später sollte Kühnle dann den ersten von zwei weiteren Höhepunkten in seiner Laufbahn erleben. Am 3. April in Basel gab er sein Debüt in der Nationalmannschaft, die sich gegen die Eidgenossen mit 3:2 durchsetzte. Und auch im Jahr darauf, beim 6:2-Sieg der deutschen Elf über die Schweiz in Stuttgart, war der Stuttgarter Verteidiger wieder dabei. „In der Abwehr glänzten Kühnle und der Karlsruher Hollstein“, hieß es danach in der Presse. In einem Gespräch, das der Verfasser 1962 für die GMÜNDER TAGESPOST führte, erzählte Kühnle, dass es damals keine Vorbereitungslehrgänge vor Länderspielen gab, dass sich die Spieler oft erst am Tag der Partie kennenlernten. Und so war es nach Paul Kühnles Meinung auch kein Wunder, dass die Spieler ihre technischen Fertigkeiten erst dann verbessern konnten, als das regelmäßige Training eingeführt wurde. „Das Direktspiel ist heute ausgeprägter, Schnelligkeit und Athletik haben sich enorm gesteigert, die Platzverhältnisse tragen auch dazu bei, dass das Fußballspiel viel ansehlicher ist als zu Beginn des Jahrhunderts,“ bekannte der Ruheständler vor gut 45 Jahren in der GT.
Kühnle gehörte aber schon zu den besten Fußballern seiner Zeit, in der der Karlsruher Gottfried Fuchs einen heute noch gültigen „Rekord“ aufstellte: Bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm schoss er beim 16:0-Sieg über Russland – auch der höchste deutsche Erfolg überhaupt – zehn Tore.. In „Deutschlands Beste“, die 1930 erschien, schrieb der Autor: „Kühnle war der zäheste Typ. den ich als Verteidiger kenne. Schläge aus der Drehung waren seine Spezialität; er flog dabei herum wie eine Feder, ohne den Boden mit den Füßen zu berühren. Sein Schlag war flach, was ihm bei den Kickers zugute kam.“
Von 1910 bis 1912 stand Kühnle dreimal in der süddeutschen Auswahl, die den Kronprinzenpokal gewann, wurde mit den Kickers 1913 zum zweiten Mal nach 1908 Südmeister und ließ dann noch vor Beginn des ersten Weltkriegs die Karriere ausklingen. Welche Wertschätzung er aber auch später noch bei den „Blauen“ genoss, zeigt die Verleihung des Wanderpreises für seine sportliche Leistung und seine menschliche Haltung, der ihm 1928 zuerkannt wurde.
1939 wurde der Bezirksgeometer ans Staatliche Vermessungsamt an der Kreuzung Goethestraße/Olgastraße (später in Rektor-Klaus-Straße umbenannt) in Gmünd berufen, dessen Leitung er bei Kriegsende bis Anfang der Fünfzigerjahre übernahm. Er wohnte im Eckhaus Schillerstraße/Rektor-Klaus-Straße, sein Sohn Oskar war als Zahnarzt tätig. Der heute 83-jährige Karl Koch, ein gebürtiger Bartholomäer, der seine Ausbildung zum Vermessungstechniker unter Paul Kühnle absolvierte und seit 1947 in Lorch beheimatet ist, erinnert sich noch gut an seinen „Lehrmeister“: „Er war ein Vorgesetzter, der bemüht war, seinen Lehrlingen etwas beizubringen. Er war pingelig darauf bedacht, dass alles genauestes erledigt wurde. “
Dass sein Chef einige Jahrzehnte zuvor ein bekannter Fußballer war, das blieb Karl Koch nicht verborgen. „Paul Kühnle kam oft auf seine Fußballerzeit zu sprechen. Als wir einmal in Wißgoldingen bei einem Bauern das Land zu vermessen hatten und vor dem Haus zwei Buben mit einem runden Etwas spielten, da schnappte sich Paul Kühnle den Ball und kickte mit, obwohl er damals schon um die 60 Jahre alt war. Die Jungen wussten nicht, dass sie einen ehemaligen Nationalspieler vor sich hatten und machten Witze über den alten Herrn, was den jedoch in keiner Weise störte.“ Das Selbstbewusstsein, das Paul Kühnle zu seiner aktiven Zeit ausgezeichnet hatte, half ihm auch lange danach über eine solche Situation hinweg.

Gmünder Tagespost

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