Über Minkwitz‘ Kopf kreisen schon die Geier
Stuttgart – Ein klarer 9:0-Sieg für die Stuttgarter Kickers zur Kunstraseneinweihung in Welzheim – gegen den örtlichen Kreisligisten klappt’s noch beim derzeit arg gebeutelten Drittliga-Schlusslicht. „Die Jungs sollten Selbstvertrauen tanken, sie sollten endlich wieder mal in die Kiste treffen“, sagt Trainer Stefan Minkwitz.
Plan aufgegangen. Ob’s geholfen hat mit der mentalen Einstimmung aufs Spiel bei Rot-Weiß Erfurt wird sich am Samstag nach dem Abpfiff gegen 15.45 Uhr zeigen. Die Spieler haben ihre Portion Psycho-Aufputschmittel erhalten. Und der Trainer?
Minkwitz muss selbst sehen, dass er nicht zum Fall für den Seelendoktor wird. Wenn die Blauen in Erfurt nicht gewinnen, ist der 40-Jährige ein Klient der Agentur für Arbeit. Es gibt Angenehmeres. Minkwitz fühlt sich derzeit wie einer, der einem Zahnarzttermin entgegenfiebert, an dem alle Weisheitszähne gezogen werden. Stets in Sorge, was kommen wird, stets beunruhigt, wie alles ausgeht. Eines hat der Trainer aber in seinen Profijahren gelernt: Jammern hilft nicht. „Ich weiß, dass ich auf einem Schleudersitz hocke. Ich weiß, dass in diesem Job die Arbeit nach Punkten bewertet wird – wer nicht genug gesammelt hat, muss gehen“, sagt er. Warum drum herumreden? Minkwitz bleibt sich auch in der Extremsituation treu: stets gerade heraus.
Er steht unter Dauerstress. Bloß abschalten wie einen beängstigenden Horrorfilm per Fernbedienung, das wäre schön. Funktioniert aber nicht. Die Kickers sind omnipräsent, selbst wenn der ADM-Sportpark kilometerweit entfernt ist, geistern die Gedanken durch das Gelände. „Das verfolgt mich auch ins Privatleben“, gesteht Minkwitz. Der Alltag gewährt ihm nur ganz kurze Auszeiten. Wenn der Gesprächspartner nicht weiß, dass ihm der Kickers-Coach gegenübersteht, kann Minkwitz auch über etwas anderes als Fußball plaudern. Ein angenehmer Smalltalk bedeutet eine kurze Flucht. „Wenigstens kann ich noch ruhig schlafen“, sagt er – sein trockener Humor ist noch nicht auf der Strecke geblieben.
Dabei hätte er allen Grund dazu. Über seinem Kopf kreisen schon die Geier – bildlich gesprochen. Beim Spiel gegen Aue (1:2) saß nicht nur ein arbeitssuchender Trainer im Gazistadion auf der Tribüne und sondierte das Terrain. Für Minkwitz gehört das zum Geschäft im Profi-Fußball. „So bringen sich manche eben ins Gespräch“, sagt er, „ob ich das ebenfalls machen würde, kann ich wirklich nicht sagen.“
Noch ist es nicht so weit, dass sich der gebürtige Magdeburger umschauen müsste. Seit dem 4. November 2007 ist Minkwitz Cheftrainer der Blauen – noch mindestens zwei Tage wird er es bleiben. „Ich nehme weder eine Pistole noch einen Strick mit nach Erfurt“, sagt er, „ich werde mich bei einer Niederlage nicht erschießen und nicht erhängen.“ Sollten die Kickers gewinnen, wird Minkwitz eine erneute Schonfrist gewährt. Der mentale Druck wäre damit aber noch längst nicht überstanden.
Jürgen Kemmner
Stuttgarter Nachrichten