Bei den Kickers brechen alle Dämme
Die Offenbacher nutzen Stuttgarts Defensivschwächen nach der Pause aus und gewinnen 4:0
OFFENBACH. Die Stuttgarter Kickers warten in der dritten Liga nicht nur weiter auf den ersten Sieg, am Samstag haben sie mit dem 0:4 (0:0) in Offenbach auch noch die höchste Saisonniederlage kassiert. „Nach dem Rückstand haben wir die Ordnung verloren“, sagte der Trainer Edgar Schmitt.
Von Joachim Klumpp
Was haben ein Lukas Podolski, Massimilian Porcello, Andrej Woronin – und Mirnes Mesic gemeinsam? Sie jubeln nicht mehr nach ihren Toren, zumindest nicht immer. Und zwar dann nicht, wenn es gegen ihren Exverein geht. Egal, ob in der Bundesliga mit Bayern, Karlsruhe und Hertha, oder in der dritten Liga mit Offenbach, wo Mesic am Samstag gegen die Stuttgarter Kickers zum 4:0-Sieg einen Treffer beisteuerte und zwei weitere vorbereitete. Jubel verboten.
Doch mehr Rücksicht konnte Mesic, der lange bei den Schwaben gespielt hat und im Sommer als Zugang im Gespräch war, nicht nehmen. Nach dem Abpfiff sagte er: „Diese Chancen konnte ich nicht auslassen, auch wenn es mir leid tut, dass die Kickers da unten sind.“ Letzter, nach wie vor. Dabei sah es zur Pause nicht danach aus, als die Kickers (aus Offenbach) mit Pfiffen in die Kabine begleitet wurden. Die Kickers (aus Stuttgart) hätten führen können, ja müssen, wenn Sascha Traut, Michael Schürg oder Benedikt Deigendesch ihre Chancen genutzt hätten – so wie Steffen Haas kurz nach der Pause. „Cool“, sagte selbst Stuttgarts Trainer Edgar Schmitt. Danach, spätestens aber beim 0:2 brachen bei den Kickers alle Dämme. „So darf man die Ordnung im Spiel nicht verlieren“, ärgerte sich Schmitt. Zumal die vor der Pause vorhanden war, durch geschicktes Verschieben im Mittelfeld – Alexander Rosen und Markus Ortlieb defensiv, Bashiru Gambo und Sascha Traut offensiv – wurde der Gegner immer wieder zu Fehlern gezwungen, weshalb sich die Freude des Offenbachers Trainers Hans-Jürgen Boysen „in Grenzen hielt“.
Die von Schmitt erst recht, nach so einer „Klatsche“, wie er selbst sagte. Sicher ist es erfreulich, dass die Mannschaft unter „Euro-Eddy“ im Spiel nach vorne dazugelernt hat, doch das Defensivverhalten ist in dieser Form nicht drittligatauglich. Und mit nun zwölf Gegentreffern in vier Spielen wird der Klassenverbleib zur Illusion. „Gerade im Abstiegskampf ist es wichtig, dass man hinten gut steht“, sagt der Manager Joachim Cast. Doch ähnlich wie schon zuvor gegen den VfB Stuttgart II nutzte der Gegner die Verwirrung nach dem 0:1 aus. Hier muss korrigiert werden, möglicherweise in der Hinsicht, dass nach einem Rückstand erst einmal Ruhe ins Spiel kommt, anstatt zu versuchen, postwendend den Ausgleich, den Anschluss- oder auch nur den Ehrentreffer zu markieren.
Zumal wenn dann noch ein Orlando Smeekes in Aktion tritt, der auf dem Bieberer Berg an ein Boxauto erinnerte; immer volle Pulle nach vorne, aber ohne Rückwärtsgang. So konnte der – neben Mesic – überragende Stefan Zinnow auf der rechten Seite schalten und walten, wie er wollte, „ihn haben wir nie in den Griff bekommen“, gab Cast zu. Nur zur Erklärung: der Ex-Elversberger hat bis jetzt, ähnlich wie Mesic, keine überragende Saison beim Zweitligaabsteiger, doch die Einladung der Stuttgarter Abwehr konnte niemand ausschlagen. Dabei gab Schmitt zu: „Die Mannschaft war nicht ausgepowert – aber das ist auch eine Frage der Qualität.“
Wobei im genannten Mittelfeld durchaus geballte Erfahrung vorhanden war, schwieriger sieht es auf den Außenverteidigerpositionen aus, auf denen Benedikt Deigendesch und Josip Landeka zeitweilig überfordert wirkten; und der nominelle Torjäger Angelo Vaccaro rennt auch unter dem neuen Trainer seiner Form her. „Schade“, sagte Schmitt, der schon nach seinem ersten Spiel angekündigt hatte: „Irgendwann kommen Mannschaften, mit denen wir auf Augenhöhe sind.“ Ob er damit Spitzenreiter Union Berlin meinte? Der gastiert morgen in Degerloch – Siegen ist trotzdem nicht verboten.
Offenbach: Wulnikowski – Damm, Heitmeier, Hysky, Kokocinski – Huber, Haas (82. Schutzbach) – Zinnow, Fröhlich (40. Morys), Tosunoglu (46. Baier) – Mesic.
Stuttgart: Salz – Deigendesch, Mann, Rapp, Landeka (75. Kettemann) – Rosen, Ortlieb (75. Kacani) – Traut, Gambo – Schürg, Vaccaro (56. Smeekes).
Stuttgarter Zeitung
Kickers läuft die Zeit davon
Nach 0:4 in Offenbach muss erster Sieg her – Union Berlin nächster Gegner
Stuttgart – Nach drei Unentschieden in Folge hat Edgar Schmitt, der neue Trainer der Stuttgarter Kickers, beim 0:4 (0:0) bei den Offenbacher Kickers die erste Niederlage kassiert.
VON JÜRGEN KEMMNER
Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. Zur Pause hätte der Stuttgarter Drittligist nach einer überzeugenden Darbietung mindestens 2:0 führen müssen, nach dem 0:2 brach das Team völlig auseinander und kassierte eine Klatsche. Die Blauen hatten wenigstens Glück im Unglück: Noch immer beträgt der Abstand auf die Nichtabstiegsränge fünf Zähler – aber es drängt die Zeit: Die Kickers haben den ersten Sieg so nötig wie die angeschlagenen Banken das Rettungspaket der Bundesregierung.
„Die erste Hälfte war das Beste, seit ich bei den Kickers bin“, sagte Edgar Schmitt, „aber im Abschluss und vom 0:2 an in der Abwehr haben wir uns zu naiv angestellt.“ Naiv – einige Spieler sind den Anforderungen der Liga nicht immer gewachsen. Der Coach räumte selbst ein, dass „manchen Akteuren die nötige Härte noch fehlt“. Da das Budget es kaum erlaubt, Verstärkungen in der Winterpause zu holen, muss Schmitt seinen Kader auf Ligareife trimmen. Doch das kostet Geduld, Spucke und Zeit – aber Zeit ist genau das Gut, von dem die Blauen wahrscheinlich noch weniger besitzen als Geld.
Mit jedem Spieltag besteht bei einer Niederlage die Angst, dass die Kickers vom rettenden Ufer wegtreiben. „Die Spieler zu entwickeln ist ein Prozess, das geht nicht mit Brachialgewalt“, sagte der 45-Jährige. Eine Gratwanderung für Schmitt – nicht mit dem Vorschlaghammer, auch nicht mit Samthandschuhen bringt er den Kickers-Motor zum Laufen. Je länger das Erfolgserlebnis ausbleibt, umso kleiner wird das Selbstvertrauen der Spieler, umso größer die Nervosität im Umfeld. Noch herrscht Ruhe. Mut machte den Blauen Ex-Trainer Hans-Jürgen Boysen, nun in Offenbacher Diensten: „Wenn die Kickers zu Hause so auftreten wie in der ersten Hälfte bei uns, gelingen ihnen noch viele Siege.“ Am Dienstag (19 Uhr) ist Tabellenführer Union Berlin im Gazistadion zu Gast. Es gibt leichtere Aufgaben.
Stuttgarter Nachrichten
„Das hat auch etwas mit Qualität zu tun“
Die Stuttgarter Kickers kassieren in Offenbach eine herbe 0:4-Niederlage
Offenbach (bw) – Die Stuttgarter Kickers bleiben der zuverlässigste Punktelieferant in der dritten Fußball-Liga: Das deftige 0:4 (0:0) bei Kickers Offenbach war die siebte Niederlage im elften Saisonspiel.
Damit sind die Stuttgarter weiterhin das einzige Team in den drei Profi-Ligen, dem noch kein Sieg in der neuen Spielzeit gelungen ist. Trainer Edgar Schmitt war nach der ersten Pleite unter seiner Regie entsprechend bedient. „So darf man einfach nicht die Ordnung verlieren“, schimpfte er und fügte hinzu: „Das hat auch etwas mit Qualität zu tun.“ Der enttäuschte Coach diagnostizierte bei seinen Schützlingen „Naivität“ – in der ersten Hälfte im Angriff, in der zweiten Hälfte auch in der Abwehr.Denn bis zur Pause machten eigentlich die Kickers aus Schwaben das Spiel, erarbeiteten sich mehrere gute Chancen, scheiterten aber stets beim Abschluss. „Das war die beste erste Hälfte in meiner Zeit bei den Kickers. Da hätten wir das Tor machen müssen“, haderte Schmitt.Das rächte sich kurz nach Wiederanpfiff. Steffen Haas sorgte für die Offenbacher Führung (49.), die Stefan Zinnow auf 2:0 (67.) ausbaute. Dann leisteten die geschockten Gäste kaum noch Gegenwehr. Der ehemalige „Blaue“ Mirnes Mesic erhöhte auf 3:0 (81.). Seine Freude über das Tor hielt sich jedoch sichtbar in Grenzen. „Es tut mir im Herzen weh, meinen alten Club da unten drin stehen zu sehen“, bekundete der Stürmer sein Mitleid mit dem Tabellenschlusslicht – das ihn allerdings nicht davon abhielt, nach dem 1:0 und dem 2:0 auch das 4:0 durch Zinnow (86.) vorzubereiten. Für heute Morgen hat Schmitt eine Mannschaftssitzung einberufen und eine „klare Ansprache“ angekündigt. Viel Zeit zum Verarbeiten bleibt indes nicht. Bereits morgen (19 Uhr) ist Spitzenreiter 1. FC Union Berlin im Gazi-Stadion zu Gast. Stuttgarter Kickers: Salz – Deigendesch, Mann, Rapp, Landeka (75. Kettemann) – Traut, Rosen, Gambo, Ortlieb (75. Kacani) – Schürg, Vaccaro (56. Smeekes).
Eßlinger Zeitung