„Wir haben eine bescheidene Ausgangslage“
Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 05.08.2009
Interview Dirk Schuster, der neue Trainer der Stuttgarter Kickers, spricht vor dem Regionalliga-Saisonstart beim SC Freiburg IIüber die Vorbereitung, die Ziele und seine früheren Erfahrungen als Fußballer. Von Joachim Klumpp
Am Samstag beginnt für die Stuttgarter Kickers ein neues Kapitel: erstmals spielt der Club in der vierten Liga. An einen direkten Wiederaufstieg glaubt der Trainer Dirk Schuster nicht.
Herr Schuster: Was würden Sie heute machen, wenn das Angebot von den Kickers nicht gekommen wäre?
Das ist eine hypothetische Frage. Wahrscheinlich im Garten arbeiten oder mit der Familie den Urlaub vorbereiten. Ich weiß es nicht. Aber ich bin sicher, dass der jetzige Zustand der Beste ist.
Also haben Sie die Vertragsunterzeichnung noch nicht bereut?
Auf keinen Fall.
Obwohl Sie die Hoffnung hatten, dass etwa eine Handvoll Spieler des alten Kaders bleiben würde. Jetzt ist in Marcel Rapp nur einer übrig. Reicht das für die Regionalliga?
Da muss ich Sie etwas korrigieren. Wir haben auch andere Spieler behalten, die letztes Jahr schon in der ersten Mannschaft Luft geschnuppert haben. Wie Mijo Tunjic, Franco Petruso oder Marcel Ivanusa. Hinzu kommen ja noch die erfahrenen Dirk Prediger und Moritz Steinle.
Das galt erst recht für Bashiru Gambo. Sie wollten ihn zunächst halten, aber dann schien die Begeisterung abgeflacht zu sein. Hatten Sie Zweifel an seiner Motivation?
Ich spreche ihm nicht seine Motivation ab. Es ist ein zweischneidiges Schwert gewesen. Wenn er richtig fit gewesen wäre, hätte er uns aus rein sportlicher Sicht sehr gut zu Gesicht gestanden. Ja, wenn. Er hat zehn Wochen überhaupt nichts gemacht, nicht einmal Lauftraining. Weil er im Urlaub in Ghana wieder Schwindelgefühle bekommen hat. Es wäre sehr schwer, ja fast unmöglich geworden, ihn zum Saisonstart auf das Niveau der anderen zu bringen.
Wenn Sie die Vorbereitung Revue passieren lassen: wie lautet Ihr Fazit?
Ich bin sehr zufrieden, wie alle mitgezogen haben und wie sie sich nach außen präsentiert haben. Nicht nur von der Leistung her, sondern von der Disziplin und der mannschaftlichen Geschlossenheit. Als Wermutstropfen bleibt natürlich die Ausfallliste, mit drei Langzeitverletzten (Rodrigues, Charrier und Olveira, d. Red.). Dazu kam die eine oder andere kleinere Blessur.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: auf welcher Position würden Sie noch eine Verstärkung holen?
Ich glaube, dass alle Spieler unser vollstes Vertrauen genießen und es verdient hätten, von Anfang an zu spielen. Wunschdenken ist bei den Stuttgarter Kickers aber sowieso nicht angebracht, angesichts der bescheidenen Ausgangslage.
Apropos Ausgangslage: Sie haben sich gegen ein konkretes Saisonziel gewehrt. Wie könnte man die Ziele dann formulieren?
Dass eine Entwicklung in der Mannschaft sichtbar sein sollte. Ich glaube, wir sind auf einem richtig guten Weg, was das Zusammenwachsen, die Harmonie und auch die Teamfähigkeit bei den Stuttgarter Kickers betrifft. Jetzt arbeiten wir noch vor dem ersten Spiel am Samstag in Freiburg an der Schnelligkeit und Spritzigkeit, so dass wir für den Punktspielauftakt bestens gerüstet sind. Fußballspielen kann jeder im Kader. Wenn das noch gepaart wird mit taktischer Ordnung und Disziplin, wird am Ende eine gute Runde für uns rauskommen.
Einer Ihrer Vorgänger war Robin Dutt. Der hat den Fußballlehrer in Köln als Lehrgangsbester absolviert, genau wie Sie. Nun ist er in der Bundesliga. Ist das auch ein Ziel von Ihnen oder sagen Sie: Schritt für Schritt?
Zweiteres ist da selbstverständlich besser. Wobei ich mich mit solchen Dingen im Moment gar nicht befasse. Wichtig ist, dass wir die Aufbruchsstimmung und das Identifikationsgefühl hier im Verein hoch halten.
Als Sie unterschrieben haben, hieß der Präsident Dirk Eichelbaum. Jetzt ist es Edgar Kurz. Der hat selbst einen Sohn, der Trainer beim 1. FC Kaiserslautern ist. Glauben Sie, dass er eher die nötige Geduld aufbringt, falls es mal nicht so laufen sollte?
Wir sind alle daran interessiert, dass wir die Geduld der handelnden Personen nicht allzu sehr strapazieren müssen.
Sie selbst haben sich mal als Wadenbeißer bezeichnet. Aber von Ihrer Mannschaft verlangen Sie schon einen gepflegten Fußball – oder nicht?
Es muss eine gesunde Mischung sein. Wir müssen stabil in der Defensive stehen, das geht nur, wenn man eine gesunde Zweikampfhärte an den Tag legt. Aber wenn wir in Ballbesitz sind, wollen wir Fußball spielen und wenig mit langen Bällen operieren.
Sie waren lange Profi, mit Auslandserfahrung in Österreich und der Türkei. Geben Sie da den Spielern auch Ratschläge außerhalb des sportlichen Bereichs?
Sicher kann man den einen oder anderen Tipp mit einstreuen. Wobei man die jetzige Generation nicht mehr vergleichen kann mit der Zeit, als ich den Sprung zu den Profis geschafft habe – das sind unterschiedliche Welten. Damals war noch nicht mal an Handys oder Computer zu denken. Wenn man heutzutage diese Reizüberflutung hat, kann ich schon verstehen, dass es manchem schwerfällt, sich ausschließlich auf Fußball zu konzentrieren. Aber wenn man ganz nach oben kommen will, sollte man das Augenmerk darauf legen – auch außerhalb der Trainingseinheiten.
Sie haben immer am Standort Karlsruhe festgehalten. Ist so ein Anlaufpunkt wichtig in der schnelllebigen Fußballwelt?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Für mich war es unheimlich wichtig, so einen Anlaufpunkt zu haben. Die Zeit in Karlsruhe – mit den großen sportlichen Erfolgen, aber auch dem Leben drumherum – hat geprägt und die möchte ich nicht missen. Vor diesem Hintergrund haben wir unser Domizil dort immer behalten.
Zurück zu den Kickers: sind Sie nach der Vorbereitung froh, dass es endlich losgeht?
Es wird Zeit. Die Vorfreude ist groß, aber es ist auch Anspannung dabei. Vor allem beschäftigt mich die Frage, wo stehen wir überhaupt? Wir hatten in der Vorbereitung viele unterklassige Gegner und mit den Bayern einen absoluten Hochkaräter. Da ist eine Standortbestimmung schwierig.
Stuttgarter Zeitung