„Der Funke ist übergesprungen“
Die Kickers sind mit der Besucherzahl zufrieden, das gilt erst recht für den SSV Reutlingen. Von Joachim Klumpp
Nach dem ersten Regionalligaheimspiel der Stuttgarter Kickers am Freitagabend gegen den SV Wehen Wiesbaden II hat ein Fan seinen Kumpel gefragt, wie weit es eigentlich nach Weiden ist, zum nächsten Gegner. „Etwa 320 Kilometer“, lautete die Antwort. Das ist dann doch etwas viel, also verabschiedete er sich mit den Worten: „Bis in zwei Wochen“ – dann zum nächsten Heimspiel gegen den TSV 1860 München II.
Immerhin, der Mann kommt wieder. Und das war auch die Quintessenz des Präsidenten Edgar Kurz nach seiner Punktspielpremiere und dem 2:0: „Der Funke ist übergesprungen.“ Ein Verdienst der Mannschaft, keine Frage, die die Fans nach einer quälenden Drittligasaison mal wieder mit erfrischendem Offensivfußball begeistert hat. So sah es auch der Zaungast Guido Buchwald, der zum Geschäftsführer Jens Zimmermann einen guten Kontakt pflegt. „Die Zuschauer sind auf ihre Kosten gekommen, aber man darf jetzt nicht gleich zu viel erwarten.“ Rückschläge sind einkalkuliert, zumal bei einer jungen Mannschaft, bei der vermeintliche Leistungsträger wie Franco Petruso, Christian Grujicic, Slaven Jokic oder Mijo Tunjic, zumindest zunächst, auf der Bank saßen. Doch auch das spricht für den Trainer Dirk Schuster, der sagt: „Bei mir zählt nur der Leistungsgedanke.“
Morgen geht es zum Pokalspiel nach Herrenberg (18.30 Uhr), am Freitag dann – eben – nach Weiden, zum starken Aufsteiger, der sich zum Beispiel mit den ehemaligen Kickers-Akteuren Sokol Kacani und zuletzt noch Michael Kümmerle verstärkt hat. Ein gutes Ergebnis vorausgesetzt, dürften in zwei Wochen wohl noch ein paar mehr Zuschauer kommen als die 2140 vom Freitag. Zudem wollen die Kickers den Dauerkartenverkauf aus dem Vorjahr (791) knacken. Der Präsident Edgar Kurz war erst mal zufrieden, auch mit der Kulisse. „Ich habe mit zweitausend gerechnet, jetzt sind es sogar noch ein paar mehr geworden .“
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Stuttgarter Zeitung
Die Vertreibung der Trostlosigkeit
Die Stuttgarter Kickers mussten erst Viertligist werden, um wieder Leidenschaft zu zeigen
Von Sigor Paesler
Stuttgart – Die Stuttgarter Kickers in der Fußball-Regionalliga. Eine halbe Stunde vor dem Beginn des ersten Saison-Heimspiels nach dem Abstieg aus der dritten Liga gegen den SV Wehen Wiesbaden II sind noch ausreichend Parkplätze hinter der Gegentribüne vorhanden. Als Stadionsprecher Frank Pfauth zehn Minuten vor dem Anpfiff die Mannschaftsaufstellung vorliest, sind Fan-Block und Haupttribüne nur spärlich besetzt. Radiomann und Sänger Michael Spleth gibt im Mittelkreis die neue Kickers-Hymne „Stuttgart – deine Seele“ zum Besten, niemand geht mit. Die Trostlosigkeit ist perfekt. Beim Anpfiff zumindest sind viele Sitzplätze auf der Haupttribüne belegt und im B-Block stimmen die Treuesten der Treuen erste Gesänge an.
Einer ist ohnehin optimistisch: „Ich war in Freiburg dabei – die werden kämpfen, das werdet ihr sehen“, sagt ein Fan vor dem Stadion zu den Umstehenden. Beim SC II hatte das Team zum Auftakt 0:0 gespielt.
Tatsächlich: Gut eine Stunde später, die Kickers führen hoch verdient mit 2:0, trabt Dirk Prediger vom Platz und klatscht Einwechselspieler Mijo Tunjic ab. Der Stürmer, einer von vier verbliebenen Akteuren aus der vergangenen Saison in der Startelf, hat zuvor 84 Minuten fußballerisch kein überragendes Spiel gezeigt. Er hat Fehlpässe gespielt, hat weit am Tor vorbeigeschossen. Aber er ist 84 Minuten lang gerannt, hat die Wehener bissig am Spielaufbau gehindert, hat nach Fehlern von Mitspielern den Ball zurückerobert. So wie es die Kollegen nach seinen Fehlern getan haben. Die Zuschauer belohnen es mit langanhaltendem Applaus. Prediger klatscht zurück und lächelt glücklich.
Offensichtlich mussten die „Blauen“ erst Viertligist werden, um wieder Leidenschaft zu zeigen. In ihren Reihen stehen viele junge Spieler, die in einer höheren Spielklasse keine Chance bei dem Traditionsverein bekommen hätten. Und sie versuchen, sie zu nutzen. Am Spielfeldrand steht Dirk Schuster. Der Coach wirkt sehr angespannt, lebt mit und tobt, wenn er Unzulänglichkeiten sieht. Auch für den ehemaligen Profi, Bester seines Jahrgangs beim Fußballlehrer-Lehrgang in Köln, ist die erste Trainerstation seiner Karriere eine Chance. Seine Handschrift ist schon ansatzweise zu erkennen. Und auch, dass die Kickers einige Talente in ihren Reihen haben. Zum Beispiel Dominik Salz, der Bruder des bisherigen Torhüters Manuel Salz, der einen Tag später in der Mercedes-Benz-Arena im Tor des SC Freiburg stand. Der Stürmer schließt eine sehenswerte Kombination per Kopf zum 1:0 ab und hat noch genug Energie, um zum B-Block zu spurten und sich feiern zu lassen. Schuster sieht das Engagement der Spieler. Doch dem Coach liegt im Magen, dass das Team „viel zu viele einfache Fehler gemacht“ hat. Er weiß, dass es die junge Kickers-Mannschaft im Verlauf der Saison mit stärkeren Gegnern als den harmlosen Wehenern zu tun bekommen wird. Eines aber ist den „Blauen“ am Freitag gelungen: Die Vertreibung der Trostlosigkeit, zumindest für einen Abend.
Eßlinger Zeitung
So ein Spiel wollen die Zuschauer sehen, jeder half jedem, Schusters
Handschrift war schon zu sehen.
Tiefen Respekt.