Der ehemalige Kickers-Profi hat sein Talent verschleudert – Jetzt versucht er mit Hilfe seiner Frau sein Leben neu zu ordnen
Er zählt zu den besten Fußballern, die je für die Stuttgarter Kickers gespielt haben. Doch Mustafa Parmak hat sein Talent verschleudert. Bei der Suche nach den Hintergründen spielen seine Wurzeln eine Rolle: Sein Leben ist ein permanenter Kampf um Wertschätzung. Mit der Heirat soll alles besser werden.
Von Jürgen Frey
STUTTGART. Die personifizierte Hoffnung umklammert er mit seinen Fingern. Hand in Hand mit seiner Ehefrau kommt Mustafa Parmak zum vereinbarten Termin. Ein Lächeln blitzt auf. Sie wirken glücklich. „Vielleicht habe ich zu spät geheiratet“, sagt Parmak gleich kurz nach der Begrüßung. „Bestimmt sogar“, ergänzt Nida mit einem sympathischen Lächeln. Seit der Hochzeit am 13. Juni dieses Jahres muss der 27-Jährige offiziell für zwei sorgen. Das motiviert den Mittelfeldspieler, noch einmal anzugreifen. Es ist die vermutlich letzte Chance des Mustafa Parmak.
Seit seiner Suspendierung bei den Blauen im vergangenen April ist er ohne Verein. Mit Ex-Kickers-Coach Stefan Minkwitz absolviert er Laufeinheiten. Außerdem trainiert er bei Verbandsligist SpVgg 07 Ludwigsburg mit. Für einen, der vom Fußball so wenig lassen kann wie ein Junkie von der Droge, ist das eine äußerst unbefriedigende Situation. Parmaks Ungeduld wächst mit jeder Minute. „Reich werde ich zwar wahrscheinlich nicht mehr, aber ich möchte es zumindest in der dritten Liga noch einmal wissen“, sagt er, schiebt seinen Oberkörper nach vorn und gesteht ungerührt: „Bisher habe ich mein Talent vergeudet.“
Wer nach den Ursachen forscht, stößt auf eine längere Geschichte. Sie begann spätestens in der Kickers-A-Jugend. Das Ausnahmetalent spielte mit seiner feinen Technik den Gegnern reihenweise Knoten in die Füße. Parmak flatterten Angebote von Borussia Dortmund und dem VfL Wolfsburg ins Haus. Doch Parmak entschied sich für die Türkei. Für Samsunspor. Vor allem auf Druck seines Vaters Hassan. Der Junior brach seine nach dem Hauptschulabschluss begonnene Druckerlehre ab. Doch nach drei Monaten floh er schon wieder zurück nach Stuttgart. Mit verletzter Seele. „Als junger Spieler wirst du in der Türkei behandelt wie der letzte Dreck“, sagt Parmak. Als müsste er seine Worte ein wenig wirken lassen, nippt er gelassen an einer Tasse Kaffee – dann ergänzt er: „Die verpasste Chance, bei einem Bundesligisten unterzukommen, hat mir einen Knacks versetzt.“
Er kämpfte weiter. Immer schwankend zwischen wilder Entschlossenheit und blanker Resignation. Nach einem halben Jahr unter Trainer Rainer Zobel bei den Kickers wechselte er zu Oberligist SpVgg 07 Ludwigsburg. Ein Absturz – vor allem in den Augen des ehrgeizigen Familienoberhaupts. „Ich musste den Vater mit Engelszungen überreden, die Lage realistisch einzuschätzen“, erinnert sich der damalige Ludwigsburger Trainer Martin Hägele noch wie heute an das Gespräch mit Hassan Parmak 2001 im 07-Clubhaus. Für den Fußball-Lehrer mit pädagogischem Hintergrund steht fest: „Mustafa ist fremdgesteuert, sein Vater hat ihn unter Druck gesetzt und war mit nichts zufrieden.“ Hägele spricht von diesem speziell unter Südländern weit verbreiteten Phänomen: Die Väter sehen in ihrem heranwachsenden Stammhalter den künftigen Nationalspieler. „Oft heißt es, du bist der Beste, die anderen müssen für dich rennen. Diese Haltung ist im Aktivenalter nur schwer zu korrigieren“, weiß Hägele.
Man muss kein Psychologe sein, um zu erahnen, dass dies ein Grund ist, warum sich Parmak nach zwei, drei genialen Spielen schnell wieder entspannt zurücklehnte – bis zum nächsten Tritt in den Hintern. Andererseits müsste Parmak das Kämpfen gewohnt sein. Er ist im Hallschlag aufgewachsen – einem sozialen Brennpunkt. Hier setzt sich der Stärkere durch. „Und hier lässt sich keiner etwas vom anderen sagen“, weiß Parmak. Auch das hat ihn geprägt.
Als er endlich den Sprung in die zweite Liga geschafft hatte, wurden ihm diese Sturheit, dieser ausgeprägte Stolz bei der TuS Koblenz (August bis Dezember 2008) zum Verhängnis. Trainer Uwe Rapolder, nicht gerade bekannt für ein besonders ausgeprägtes psychologisches Einfühlungsvermögen, ließ nach einem 0:9 in Rostock die Wut an dem Neuzugang aus. Der Coach habe ihn wüst beleidigt, sagt Parmak. Er zog sich zurück und ließ sich krankschreiben. Zweieinhalb Monate lang. Ein Hilfeschrei. Wieder hatte er den Wettbewerb mit dem eigenen Ich verloren. Nach der Winterpause wechselte er (nach 1995 bis 2002 und 2004 bis 2008) zum dritten Mal zu den Kickers. Ende April schob ihn Interimstrainer Rainer Kraft in die zweite Mannschaft ab. Die nächste Niederlage in seinem Kampf um Selbstwert und Anerkennung – nicht zuletzt in den Augen seines Vaters.
„Die Parmaks sind grundehrliche Leute“, sagt Ex-Kickers-Präsidiumsmitglied Michael Hofstetter. Der Stuttgarter Rechtsanwalt kümmert sich seit zwei Jahren als Berater um den Problemfall Parmak. Er kennt die Gerüchte: Parmak leide an Spielsucht und hätte Leute aus dem Kickers-Umfeld um Geld angepumpt. „Mustafa hat mir versichert, dass dies nicht stimmt“, sagt Hofstetter, räumt aber ein: „Er hat schon Mist gemacht und nicht mit eiserner Disziplin an seiner Karriere gearbeitet.“ Jetzt aber habe er sich abgenabelt vom Elternhaus und wisse, worum es geht.
Mustafa Parmak wird in seinem Leben wohl nichts mehr so perfekt beherrschen wie das Spiel mit dem Ball. Er weiß das. Nida weiß es auch. Mit Hilfe seiner Frau will er nun versuchen, sein Leben noch einmal neu zu justieren. Als Privatmann wie als Sportler.
Stuttgarter Nachrichten
Mustafa Parmak
Am 19. Mai 1982 kam Parmak in Stuttgart zur Welt.
Als Jugendlicher war der Mittelfeldspieler deutschtürkischer Abstammung beim VfR Cannstatt, der TSV Münster und den Stuttgarter Kickers am Ball.
Als Aktiver spielte Parmak für den türkischen Club Samsunspor, für die SpVgg Ludwigsburg (2002 bis 2004) und in drei Etappen für die Stuttgarter Kickers (1995 bis 2002, 2004 bis 2008 und Januar bis April 2009). Außerdem erlebte er ein Intermezzo bei TuS Koblenz (August bis Dezember 2008).
Seit dem 13. Juni 2009 ist er verheiratet mit Nida, das Paar lebt in Stuttgart.
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