StN: Kickers kein Einzelfall: Zahlreiche Ex-Erstligisten kämpfen ums Überleben

Tradition sucht Zukunft

Stuttgart – Fußball-Drittligist Stuttgarter Kickers steht erstmals in seiner Vereinsgeschichte vor dem Absturz in die vierte Liga. Die Blauen sind dabei in prominenter Gesellschaft. Zahlreiche andere früher erfolgreiche Traditionsclubs haben den Anschluss nach oben verloren.

VON JÜRGEN FREY

Marc Arnold scheinen Traditionsclubs magisch anzuziehen. Er spielte früher für die Stuttgarter Kickers, danach unter anderem für Borussia Dortmund und Hertha BSC. Jetzt ist der 38-Jährige sportlicher Leiter von Eintracht Braunschweig. Der Club gehörte zu den Bundesliga-Gründungsmitgliedern und feierte 1967 die deutsche Meisterschaft. Jetzt ist der Club Ligakonkurrent der Kickers – und Arnold kennt die Sorgen und Nöte der von der nationalen Elite abgehängten Traditionsvereine. „Bei jedem dieser Clubs gibt es spezielle Gründe für den Absturz“, sagt Arnold, „doch bei vielen sind es die eigenen Strukturen, die ihnen bis heute zu schaffen machen.“

Missmanagement und Größenwahn heißen die Stichworte. Auf dem beschwerlichen Weg zurück nach oben sind kleine Schritte verpöhnt. Genauso wenig langfristig angelegte Konzepte und damit Phasen der Konsolidierung ohne unrealistische, kurzfristige Träumereien. „Das Interesse an einem Traditionsverein, die Erwartungshaltung ist einfach um ein Vielfaches höher als bei anderen Clubs“, weiß Arnold aus eigener Erfahrung. Dass dies häufig auch an der eigenen Führungsetage liegt, zeigt das Beispiel Stuttgarter Kickers. Die Verantwortlichen im Reich der blauen Götter pflegten noch die Erinnerung an die glorreichen Taten der Vergangenheit, da hatte der Totentanz in die Zukunft längst schon begonnen. „Bei den Vergleichen mit der Vergangenheit geht die Objektivität verloren, im Endeffekt hemmen sie nur“, ist sich Arnold sicher.

Das Leben nimmt eben wenig Rücksicht auf die liebgewonnenen Gewohnheiten der Fußball-Romantiker. Früher ließen die Transfers von Jürgen Klinsmann, Karl Allgöwer, Fredi Bobic oder Zoltan Sebescen die Kasse bei den Kickers klingeln. Dann kam das Bosman-Urteil, später die Total-Vermarktung des Top-Fußballs. Um es vorsichtig auszudrücken: Die Blauen wirkten inmitten dieser rasanten Entwicklung wenig anpassungsfähig.

Schmerzfreie Zeitgenossen empfehlen solch klammen Clubs wie den Blauen, Insolvenz anzumelden. Doch diese Art der Befreiung von allen finanziellen Bürden der Vergangenheit ist nicht nur für Arnold „sehr negativ behaftet“. Es gibt sehr wenige Clubs, die danach noch einmal zurückkommen. Hessen Kassel, ein weiterer ehemaliger Verein von Marc Arnold, ist ein solches Beispiel. 1990 verabschiedete sich der Club aus dem bezahlten Fußball, überstand zwei Konkurse samt Löschung aus dem Vereinsregister. Nach der Neugründung 1998 arbeitete sich der Club aus der Kreisliga (!) wieder nach oben. Jetzt klopfen die Hessen ans Tor zur dritten Liga. Wie das möglich war? Vor allem dank einer Identifikationsfigur: „Der ehemalige Profi Holger Brück war als Trainer und Präsident ganz entscheidend am Wiederaufbau beteiligt“, erklärt Arnold. Vielleicht machen sich die Kickers schon mal auf die Suche nach einer solchen Ikone.

Stuttgarter Nachrichten